Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

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Simone66
Beiträge: 67
Registriert: Di 29. Mär 2011, 19:30

Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von Simone66 »

Hallo,
wir haben eine Bewohnerin, die Fentanylpflaster bekommt. Wegen anderer Schmerzen wurde ihr vom Hausarzt Tramadol verschrieben.
Meine Praxisanleiterin sagte dem Arzt, das die Kombination von den beiden Medikamenten ungünstig sei, weil sie sich in der Wirkung gegenseitig aufheben, der Arzt besteht auf diese Kombination.
Die Bewohnerin besteht auch auf diese Kombination. Meine PA hat sich von der Bewohnerin unterschreiben lassen, das sie diese Kombi auf eigene Verantwortung einnimmt.
Nun wollte ich mich etwas schlau lesen darüber, habe aber nicht das Richtige gefunden. Könnt ihr mir da weiterhelfen? Vielleicht sogar mit Texten? Dann könnte ich auf Arbeit mal ein bisschen *klugscheißern* :yo
Simone



gastgastgast
Beiträge: 49
Registriert: Mo 30. Dez 2013, 17:26

AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von gastgastgast »

Darüber wirklich hart belastbare Literatur zu finden, ist zumindest nicht ganz einfach.
Ich würde die aktuellen Lehrbücher für Pharmakologie, z. B. Aktories oder Mutschler empfehlen (Uni-Bibliothek etwa? Gebraucht allerdings auch bezahlbar für den eigenen Bücherschrank - und mitunter sehr nützlich.)

Generell ist es so:

Opiate und Opioide binden an für sie spezifische Rezeptoren. Beispielsweise den µ- oder den κ-Rezeptor.
Werden diese Rezeptoren durch "Andocken" eines Moleküls (des entsprechenden Opiats oder Opioides) aktiviert, kommt es zu Wirkungen wie z. B. dem Einströmen von Kaliumionen oder der Verminderung des Calciumioneneinstromes, was wiederum Effekte auslöst.
Effekte sind etwa: Analgesie, Atemdepression, Euphorie oder z. B. Sedation.

An diese Rezeptoren binden die von dir erwähnten Substanzen mit unterschiedlicher Affinität, mit anderen Worten: Ist das Opioid mit höherer Affinität angedockt, kommt das mit geringerer Affinität nicht mehr "ran".

Außerdem muss beachtet werden, dass die Halbwertzeit der erwähnten Substanzen unterschiedlich lang ist: Die Zeit also, innerhalb derer die Substanz abgebaut wird, ist nicht dieselbe.
Ist also also z. B. Fentanyl nasal appliziert worden (über ein Nasenspray), ist seine native "Überlebenszeit" im Körper ca 45 Minuten (ich weiß gerade nicht, ob das die Halbwertzeit oder die Wirkdauer war - sicher ist: es wirkt nicht lange, wenn es nicht kontinuierlich, also z. B. über Pflaster oder Perfursor zugeführt wird) - die von Tramadol hingegen liegt bei einigen Stunden.

Generell kann man sagen, dass nun in dem von dir beschriebenen Fall die beiden Stoffe teilweise (!) um dieselben Rezeptoren konkurrieren, mit unterschiedlicher Affinität und mit unterschiedlicher Halbwertzeit.
Außerdem werden die beiden Substanzen über unterschiedliche Enzymsysteme im Körper wieder abgebaut - die also dann beide in Anspruch genommen werden - und beide Stoffe haben zudem noch unterschiedliche "sonstige Wirkungen" (Tramadol z. B. auf den Serotonin-Haushalt [im Gehirn]).

Fazit:

Es ist praktisch ausgeschlossen, dass beide Stoffe, gleichzeitig verabreicht, so wirken, wie sie es tun würden, wenn sie einzeln gegeben worden wären - alleine das zu kalkulieren dürfte, insbesondere, wenn der Patient noch weitere (möglicherweise auch wechselwirkende) Medikamente bekommt, der Arzt wohl kaum hinbekommen - wohl auch kein leistungsfähiger Computer oder Professor. (Vielleicht hat er aber eine gut funktionierende Kristallkugel?)

Praktisches Katastrophenbeispiel:

Patient mit Krebs im Endstadium, bekommt ein Antidepressivum (in diesem Beispiel ein SSRI, zum Beispiel Escitalopram [Cipralex]), Fentanyl und Tramadol wie in deinem Beispiel, einen ACE-Hemmer (sagen wir: Enalapril), ein Diuretikum und Insulin -> und die Party in der Leber, im Gehirn (besonders im Brechzentrum), im Herz-Kreislaufsystem und in der Bauchspeicheldrüse kann sozusagen starten sowie im Elektrolythaushalt.
Hier konkurrieren mindestens zwei Substanzen um dasselbe Enzymsystem (beim Abbau), mindestens zwei Substanzen um zwei derselben Opioidrezeptoren, mindestens zwei Substanzen beinflussen sich direkt gegenseitig, die indirekten Effekte (über Elektrolythaushalt/Niere/Blutdruck/Herz) mindestens dreier dieser Medis überschneiden und verstärken sich/schwächen sich gegenseitig ab und so weiter und sofort.

Eigentlich ist das noch nichtmal eine ausdrückliche Wertung - die Effekte hängen ja zusätzlich noch von vielen Faktoren im Patienten zusammen (z. B. dessen Konstitution usw usf). Es zeigt aber, dass man sich besser an erprobte Standards halten sollte, auch der besagte Arzt.


Hier konkret: Das WHO-Stufenschema:

https://de.wikipedia.org/wiki/Schmerzth ... ufenschema


Man gibt nicht schwache & starke Opioide/Opiate gleichzeitig - warum auch!

Wenn Fentanyl nicht wirksam ist, gibt man mehr Fentanyl oder kombiniert mit einem nicht-steroidalen Antirheumatikum (Ibuprofen, Metamizol, Paracetamol - geht auch intravenös oder über ZVK, mitunter sogar subcutan).


Nach den von dir geschilderten Umständen, hat deine PA meiner Ansicht nach professionell und korrekt gehandelt.


Interessant wäre aber noch zu wissen, was genau du mit "andere" Schmerzen meinst - z. B. sind skelettale Schmerzen (etwa Rückenschmerzen i. w. S.) manchmal opioidrefraktär, d. h. für solche Mittel wie Fentanyl oder Tilidin teilweise nicht gut ansprechend.



Benutzer 204 gelöscht

AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von Benutzer 204 gelöscht »

Die Bewohnerin besteht auch auf diese Kombination. Meine PA hat sich von der Bewohnerin unterschreiben lassen, das sie diese Kombi auf eigene Verantwortung einnimmt.
Dazu hat die PA überhaupt kein Recht und dieser Schriebs ist wertlos.
Warum hat sie dem Arzt kein Schreiben vorgelegt in dem er mit seiner Unterschrift bestätigt das er verantwortlich ist ?
Die Verantwortung für diese Kombi trägt allein der Arzt .Wenn dieser darauf besteht ist er verantwortlich .

LG



gastgastgast
Beiträge: 49
Registriert: Mo 30. Dez 2013, 17:26

AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von gastgastgast »

Oh! Mein Hirn hat beim Lesen genau das daraus gebastelt, was pegean anmahnt - so ist es natürlich korrekt!



gastgastgast
Beiträge: 49
Registriert: Mo 30. Dez 2013, 17:26

AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von gastgastgast »

... und ich würde gerne noch anmerken - in Hinsicht auf den Threadtitel ("darf") - dass man, wie ich schätzen würde, im Rahmen der Therapiefreiheit diese Medis auch de iure verabreichen "darf", denn de facto stellt das nicht automatisch eine schädliche Handlung dar, denke ich.

Interessanter ist halt die Frage, ob das die bestmögliche Therapie ist (die man normalerweise bekommt) und ob man es "sollte". Die WHO hat dazu sicher ne Meinung. ;-)



oLove
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von oLove »

Hallo, so einfach pauschal zu sagen das geht nicht, ohne die genauen Hintergründe (Diagnose, Grund/Bedarfsmedikation,Art der Schmerzen..)
zu kennen geht nicht.
Da hier von einem Fentanylpflaster die Rede ist , ist das die Grund- Basis medikation die eine best. Spiegel im Körper aufrechterhält, wird das Tramadol
als Bedarf eingesetzt? d.h. bei Schmerzspitzen, es ist nicht so unüblich das bei Schmerzspitzen o. Durchbruchschmerzen 1/6 der Opiodgesamttagesdosis
in schnellwirksamer Form gegeben wird.
LG O



gastgastgast
Beiträge: 49
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von gastgastgast »

Doch, das kann man so sagen.


Zum einen wurde hier nichts pauschal gesagt - zum anderen ist deine darauf bezogene Aussage unscharf bzw. tendenziell unrichtig:

Richtig ist:

Bei Durchbruchschmerzen wird eine vom Arzt (möglichst nach Standard - DAS kann man allerdings nicht pauschal sagen) festgelegte Dosis bis zu einem gewissen Anteil der Gesamtdosis (die deine Angabe auch deutlich überschreiten oder unterschreiten kann) als nicht-retardierte bzw. schnellwirksame Form gegeben.

Bei Fentanyl wäre das sinnvollerweise: ebenfalls Fentanyl.

Wahlweise ein anderes Opioid, das mit derselben Affinität an dieselben Rezeptoren bindet: Tramadol tut das definitiv nicht.



Simone66
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von Simone66 »

Ich muss jetzt mal was berichtigen: das Tramadol wurde nicht vom Hausarzt, sondern von einem Vertretungsarzt verschrieben. Er hat Novalgin abgesetzt und dafür Tramadol angesetzt.
Heute hatte meine Kollegin dann die Hausärztin am Telefon. Die sagte auch, das Fentanyl und Tramadol zusammen nicht gehen.
Sie hat Tramadol wieder abgesetzt, das Novalgin wieder angesetzt und Fentanyl erhöht...von 37,5 auf 50. Was für ein Durcheinander ;-) . Aber meine Praxisanleiterin war sehr angetan davon, das ich mit dem Stufenplan der WHO ankam ;-)



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*Angie*
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von *Angie* »

Warum hat sie dem Arzt kein Schreiben vorgelegt in dem er mit seiner Unterschrift bestätigt das er verantwortlich ist ?
Die Verantwortung für diese Kombi trägt allein der Arzt .Wenn dieser darauf besteht ist er verantwortlich .
Der Arzt unterschreibt doch sowieso im Med-Blatt seine Verordnung?


» Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht. « (Albert Schweitzer)

gastgastgast
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von gastgastgast »

@Simone: Das ist doch sehr erfreulich. :-)


@*Angie*: Der war gut. ^^ Wo arbeitest du? ^^



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*Angie*
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von *Angie* »

Was ist daran so witzig???????????


» Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht. « (Albert Schweitzer)

gastgastgast
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von gastgastgast »

Natürlich gar nichts!!!!!!!!!!

Medblätter abzeichnende Ärzte kenne ich sowohl ambulant als auch stationär nicht als die Regel. (Ausnahme: KH)



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*Angie*
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von *Angie* »

Ach so - es war ein Späßchen - na, sag das doch gleich ;-)

Ja, man muss als PK immer darauf bestehen, dass sie GEFÄLLIGST auch unterschreiben, was sie verordnen -> sonst gehts nicht aus dem Dienstzimmer- basta!


» Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht. « (Albert Schweitzer)

gastgastgast
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AW: Fentanyl und Tramadol...darf das zusammen verabreicht werden?

Beitrag von gastgastgast »

Mir fallen direkt zwei Ärzte ein, bei denen du dieses BASTA nur ein einziges Mal versuchen würdest.

Herzlich Willkommen in der Pflege. ;-)



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