Nachruf

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johannes
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Registriert: Sa 17. Nov 2001, 23:53
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Nachruf

Beitrag von johannes »

Ein Leben lang hat Frau V. hier in Heddesbach gelebt, Ihr Mann hatte sie als seine Jugendliebe aus Altneudorf zu sich geholt. Achtundfünfzig Jahre war sie nun schon verheiratet. Wie oft habe ich sie an ihrem Hause sitzen sehen, wenn die Sonne schien, oder sie machte noch ihre Arbeit im Hause, trotz ihres Alters. Dieser kleine Ort war ihr zu Hause. Mit den Streuobstwiesen, dem Sägewerk und dem Saftladen in einer Bergfalte am Rande des Ortes.

Die Jahre waren nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. So manches Gebrechen hatte sich eingestellt. Seit einiger Zeit wollten die Nieren nicht mehr so richtig. Mit dem letzten Krankenhausaufenthalt wurde klar, dass nichts mehr so war, wie es einst gewesen. Der Ehemann war nicht mehr in der Lage, die pflegerische Versorgung seiner Frau wahrzunehmen. Ein Platz im Hause Maranatha war frei. So entschlossen sich die Angehörigen, diesen Platz in Anspruch zu nehmen.

Die Formalitäten waren schon längst erledigt. Doch immer wieder zögerte sich durch gesundheitliche Probleme die Entlassung aus dem Krankenhaus hinaus. Es war keine Frage, dass ihr Mann ihr auch weiterhin nahe sein konnte, wohnt er doch nur 200 m entfernt. Auch seine Versorgung mit Mittagessen wurde geregelt. In der Wartezeit konnten die Angehörigen bereits beginnen, das Zimmer wohnlich einzurichten, so dass sie sich gleich heimisch fühlen konnte. Am 21. Oktober diesen Jahres war es dann so weit, dass sie aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Die ganze Familie war versammelt, um sie wieder willkommen zu heißen.

Uns als Pflegepersonal machte es Freude zu sehen, wie nicht nur ihr Ehemann, sondern auch die Kinder sich rührend um sie bemühten. Nicht nur die Schwiegertochter, die hier im Ort wohnt, nein, selbst die Tochter, die weit entfernt wohnt, nahmen jede sich bietende Gelegenheit wahr, ihre Mutter zu besuchen. Hier erlebt man, dass Familienbande noch funktionieren können. Selbstverständlich war es jederzeit möglich, dass die Kinder sie auch zu sich holen konnten, um einen intensiven Kontakt zu pflegen.

In den folgenden Wochen war es möglich, die meisten Wunden an den Armen zu heilen. Auch hier zeigt sich, dass eine gute Zusammenarbeit mit den begleitenden Diensten sich positiv auswirken kann. Es wurde vereinbart, dass sie auf keinen Fall mehr an den Armen festgehalten wurde, und schon trat die Besserung ein. Trotz allem zeigte sich, dass ihre Lebenszeit sich dem Ende zuneigte. Die Dialyse wurde ihr zu einer besonders schweren Last, so dass sie öfter meinte, sie wolle nicht mehr.

So kam es zu einem Gespräch mit den Angehörigen, ob nicht entsprechend der vorhandenen Patientenverfügung die Dialysebehandlung eingestellt werden könne, zumal auch das Dialysezentrum immer größere Probleme bekam mit dem Zugang. Doch es sollte nicht mehr so weit kommen, dass die Angehörigen eine Entscheidung treffen mussten. Der Zugang für die Dialysebehandlung war so geschädigt, dass am Montag die Entscheidung getroffen wurde, operativ einen neuen Zugang zu legen.

Heute erreichte uns dann die Nachricht, dass sie ihr Leben zu Ende gebracht hat. Die Zeit des Leidens ist vorbei. Sie hat ein stilles Leben geführt, die letzten zwei Monate und drei Tage in unserem Hause und still ist sie gegangen. Die Kraft für ihr Leben holte sie aus ihrem Glauben. Sie hat keinen Gottesdienst versäumt. Auch die Musik, die sie stets mit viel Freude selbst im Kirchenchor mit gestaltet hat, war ihr ein lieber Begleiter. Wir nehmen Abschied von einem stillen Menschen, der dennoch seinen Platz im Leben ausfüllte. Ihr Mann und ihre Kinder können stolz auf sie sein. Eines Tages gibt es ein Wiedersehen, in dem keine Krankheit, kein Leid, keine Tränen mehr vergossen werden. Dann wenn wir nach Hause geführt werden.
Zuletzt geändert von johannes am Do 30. Dez 2010, 13:23, insgesamt 1-mal geändert.


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doedl
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AW: Nachruf

Beitrag von doedl »

Hm

überlege die ganze Zeit, wer das wohl war.... natürlich bitte ich Dich nicht hier, mir das mitzuteilen.

Gruß Doedl


Wir müssen die Änderung sein, die wir in der Welt sehen wollen- Mahatma Gandhi

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purzelbaum82
Beiträge: 29
Registriert: Mi 10. Nov 2010, 19:01

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Beitrag von purzelbaum82 »

Hallo Johannes,

du hast es wunderschön geschrieben.

Liebe Grüße



BEngel
Beiträge: 31
Registriert: Sa 18. Sep 2010, 16:32

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Beitrag von BEngel »

Johannes, Deine Texte sind einfach fabelhaft. Muss mir ja fast ne Träne aus meinem Auge wischen- diesmal zum Glück nur fast und wenn, sollte es ja eher eine Träne der Erleichterung sein, oder?


< Hier könnte Ihre Signatur stehen! >

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