Etwas voreilig

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Christl
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Registriert: Mi 25. Jan 2006, 22:01

Etwas voreilig

Beitrag von Christl »

Hallo,

wir hatten kürzlich eine BWin auf der Station, die im Sterben lag. Ihr Arzt sagte uns, wir müssen die nächsten Tage mit ihrem Tod rechnen. Sie verweigerte die Nahrungsaufnahme und das Trinken total. Auch die Angehörigen wurden durch den Arzt über die Situation aufgeklärt.
Eine meiner Kolleginnen sagte dann in der Übergabe, sie hätte mit den Angehörigen schon abgesprochen, dass im Falle des Todes die Bewohnerin ihr grünes Kostüm angezogen bekommt, dieses hätte sie schonmal ins Bad gehängt, damit wir später nicht lange im Schrank suchen müssen.
Ich war entsetzt und fragte sie, ob das denn nun so wichtig war und ob das nicht hätte warten können, bis die Bewohnerin tatsächlich verstorben ist.
Daraufhin hat sie mich erst mal tüchtig in den Senkel gestellt und mich als "Klugscheisser" und "übereifrige Schülerin, die wohl zu allem ihren Senf dazugeben muss" hingestellt.
Findet ihr dieses Verhalten in Ordnung? Hab ich da wirklich so daneben geschossen? Also ich fand diese voreilige Aktion völlig daneben!

Christl


Beurteile niemanden, ehe du nicht an seiner Stelle gestanden hast

Dirk Höffken
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Soziale Interaktion & Kommunikation

Beitrag von Dirk Höffken »

Hallo Christl,

ob diese „voreilige Aktion“ nun „völlig daneben“ war oder nicht, sollen andere entscheiden.

Versetz dich doch mal einen Moment in deine Kollegin (du kennst sie besser, ich spekuliere nur): Da gibt sie sich Mühe. Will der Bewohnerin ermöglichen den letzten Weg im Lieblingskleid zurückzulegen. Möchte den Wunsch der Angehörigen umsetzen. Will den Kollegen das Suchen ersparen. Erwartet Lob und Zustimmung nach einen harten Dienst. Und dann folgt ein Tritt in den Hintern.

Vielleicht spielen noch andere Faktoren eine Rolle. Manchmal stauen sich Frustrationen einfach auf und entladen sich bei passender Gelegenheit als Aggression.

Sich jetzt auf den Standpunkt zu stellen die „voreilige Aktion“ sei pietätlos und damit basta dürfte nur zu weiteren Spannungen zwischen euch beiden und im Team führen.


Gruß Dirk



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Christl
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Registriert: Mi 25. Jan 2006, 22:01

AW: Etwas voreilig

Beitrag von Christl »

Dirk,

es ging nicht darum, dass die Bewohnerin in diesem Kleid sterben sollte. Sie sollte diese Kleid im Sarg tragen, wenn sie bereits verstorben ist...

Was Deine restlichen Argumente angeht, muss ich ganz ehrlich sagen: Von dieser Seite hab ich die Situation noch nicht betrachtet. Da ist jetzt wohl ein klärendes Gespräch zwischen meiner Kollegin und mir nötig...

Danke, Christl


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Dirk Höffken
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Viel Erfolg für das klärende Gespräch!

Beitrag von Dirk Höffken »

Hallo Christl.
@Christl
“Dirk,

es ging nicht darum, dass die Bewohnerin in diesem Kleid sterben sollte. Sie sollte diese Kleid im Sarg tragen, wenn sie bereits verstorben ist...“ ...
Das hatte ich so verstanden. Ebenso das du das voreilige raushängen des „Totengewandes“ (grünes Kostüm) als pietätlos betrachtest.
@Christl
... „Was Deine restlichen Argumente angeht, muss ich ganz ehrlich sagen: Von dieser Seite hab ich die Situation noch nicht betrachtet. Da ist jetzt wohl ein klärendes Gespräch zwischen meiner Kollegin und mir nötig...

Danke, Christl“
Ja, gute Idee! Eventuell betrachtet deine Kollegin ihre Handlung im Rückblick auch als voreilig. Manchmal sollten wir die (vermeintlichen) Fehler unseres Gegenübers auch einfach nur hinnehmen.

Viel Erfolg für das klärende Gespräch!


Gruß Dirk



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*Angie*
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AW: Etwas voreilig

Beitrag von *Angie* »

Hallo Ihr Lieben,

hab ja nun genug Zeit im Hospiz verbracht....mit dem Sterben wurde immer gerechnet. Manchmal wurde es ärztlicherseits in den "Nächsten" Stunden erwartet und dauerte bei einer Dame dann doch noch über 3 Monate.

Bei uns gab es daher das Thema auch schon hier und dort mal.

Wir haben uns dann im Team geeinigt, das dass, was der Patient nach dem Sterben anbekommen sollte, im Schrank ganz nach rechts gehängt wird und der Bügel ein rotes Bändchen umbekommt (falls es jemand aus Versehen an andere Stelle hängt). So findet jeder im Team im Falle eines Falles die Kleidung - auch wenn er sie vorher niemals gesehen hat.

Hätte mich ebenfalls gestört , wenn die Kleidung schon außerhalb deponiert worden wäre...finde das hat was von: Beeil dich mal mit Sterben, die Klamotten hängen schon parat. Der Bestatter stellt ja auch nicht ,in Erwartung eines nahenden Todes. den Sarg schon mal ins Zimmer....oder???

War sicher lieb gemeint von der Kollegin - aber leider auch etwas gedankenlos...

LG, Angela


» Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht. « (Albert Schweitzer)

andrea
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AW: Etwas voreilig

Beitrag von andrea »

Hi
Mhh........................ ich finde es weder gedankenlos noch pietätlos. Das Sterben ist eine sehr natürliche Sache mit dem der Sterbende meist auch genauso offen umgeht. Menschen die den Sterbeprozess bewußt miterleben sprechen gern über ihre Gefühle, ihr Leben ihre Ängste und Gefühle. Also auch sie sprechen vor ihrem Tod den eigentlichen Tod an.
Sehr vielen Menschen ist es wichtig was sie anhaben wenn sie verstorben sind, es ist schließlich einer ihrer letzten großen Wünsche die höchstwahrscheinlich auch mit der Familie abgesprochen sind. Wie beruhigend für sie, wenn die gewünschte Kleidung schon bereit hängt. Auch die Angehörigen sind nicht immer zur Stelle oder in der Lage sofort zu reagieren. Ich persönlich finde es sehr schön wenn die Verstorbenen in ihrer gewünschten Kleidung verabschiedet werden können.
Egal ob diese Kleidung nun im Schrank oder im Bad hängt, wichtig ist dass man die Wünsche beachtet und dem Sterbenden das Gefühl geben kann dass seine Wünsche respektiert werden, auch wenn er bereits verstorben ist. Wie gesagt, das Sterben ist ein natürlicher Prozess den die Menschen sofern sie nicht betroffen sind, lieber totschweigen.
Allerdings war das Verhalten der PK meiner Meinung nach unüberlegt und nicht richtig sie hätte es dir in Ruhe erklären können statt sofort auszurasten.
Liebe Grüße andrea



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*Angie*
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Beruf: Mensch & ex. AP

AW: Etwas voreilig

Beitrag von *Angie* »

Da stimme ich Dir schon voll und ganz zu.

Nur habe ich persönlich schon oft, man könnte eher sagen, sogar überwiegend erlebt, dass die bald zu Versterbenden (ärztlicherseits)
dem Arzt diese Voraussage nicht so umgehend erfüllten.

Manche starben nach 1 Woche, andere nach über 3 Monaten, wie ich schon sagte.

Auch der Arzt ist kein Hellseher und frei nach dem Motto "Totgesagte leben länger" berappelten sich manche wieder und wurden sogar aus dem Hospiz entlassen, da ihr Aufenthalt dort nicht mehr gerechtfertigt war und die Kassen natürlich ihre Zahlungen auch verweigerten...

Daher denke ich, ist die Kleidung im Schrank ebenso gut aufgehoben und muß nicht Tage, Wochen oder gar Monate in Sichtweite bereit hängen.

Könnte mir vorstellen, dass je nachdem wie auch das persönliche Miteinander z.B. mit den Angehörigen ist, das Bereithängen der Kleidung von dem, der da bitte nun sterben soll, auch dahingehend interpretiert werden kann, dass alle nur drauf warten und ihn endlich los sein wollen (vorausgesetzt, sein Zustand sollte sich doch wieder verbessern und er bekommt das bewußt mit).

Das war die Diskussionsgrundlage bei uns im Hospiz....

Sterben ist natürlich ein alltäglicher und absolut zum Leben zugehöriger Prozess und es ist keine Frage, das die Würde eines Menschen IMMER höchstes Gebot sein sollte und MUSS, ob als
neugeborenes Menschlein am Anfang des Lebens oder am Ende eines jeden Lebens und über das Sterben hinaus.

Aber nicht jeder setzt sich mit dem eigenen "sich auf die Reise machen" auseinander und daher sollte auch hier individuell gehandelt werden...

Ach ist das schwer auf n Punkt zu bringen.
Ich hoffe, Ihr versteht trotzdem worum es mir persönlich dabei geht.

Lieber Gruß,
Angela


» Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht. « (Albert Schweitzer)

Dirk Höffken
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Stab schnell gebrochen

Beitrag von Dirk Höffken »

Hallo.
@Pflege-Engel
... „War sicher lieb gemeint von der Kollegin - aber leider auch etwas gedankenlos...“ ...

@andrea
... „Allerdings war das Verhalten der PK meiner Meinung nach unüberlegt und nicht richtig sie hätte es dir in Ruhe erklären können statt sofort auszurasten.“ ...
Alle brechen jetzt den Stab über die Kollegin. Die Lösung des Problems werden wir hier nicht finden. Die Erfahrung zeigt jedoch das psychisch stabile Menschen nicht so heftig auf (subjektiv unberechtigte) Kritik reagieren. Somit bleibt zu vermuten das irgendwo, sei es bei der Kollegin, sei es im Team, sei es woanders, etwas im Argen liegt. Vielleicht hat die Kollegin (aus welchen Gründen auch immer) eine intensive Beziehung zu der Bewohnerin.

Die dem behavioristischen Modell folgende Logik: Input: Kritik von Schülerin an Pflegefachkraft --> Output: Aggression gegen Schülerin von Pflegefachkraft, was dazwischen ist interessiert uns nicht, mag einfach sein, löst aber kein einziges Problem. Es entstehen eher neue Konfliktherde.


Gruß Dirk



andrea
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AW: Etwas voreilig

Beitrag von andrea »

Du hast ganz sicher Recht Dirk(mit der Vermutung dass irgendwas im Argen liegt)
Mir lag es jedoch fern der Kollegin den bösen Peter zuzuschieben. Auch wenn sie vielleicht nicht angemessen reagiert hat, ich denke niemand von uns schafft es zu jedem Zeitpunkt angemessen auf Situationen zu reagieren, zumal wenn es sich gerade um eine Situation handelt die uns besonders tief trifft.
Deshalb ist das von dir vorgeschlagene Gespräch zwischen Schüler und PK sicher sinnvoll, sinnvoller als den Sündenbock zu suchen. :smile

gewittrige Grüße von andrea



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schnitte
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AW: Etwas voreilig

Beitrag von schnitte »

ich finde wir haben in unserem beruf viele unangenehme sachen anzusprechen: "betreunung wäre zu beantragen", "welches bestattungsinstitut möchten sie", " wen können wir im notfall informieren und zu welcher tageszeit" "wollen sie religiösen beistand"

das sind alles fragen, die unangenehm sind und für die es nie einen guten zeitpunkt gibt. ist jemand fit möcht er nicht daran denken; ist er bereits betroffen, bekommt er noch mehr angst; ist er verstorben fällt die doppelte last auf angehörige, falls nichts erledigt ist.

eigentlich kann man richtig froh sein, wenn irgendjemand endlich mal den ersten schritt gewagt hat. und wenn die angehörigen ihre mutter in vernünftiger kleidung verabschieden, sehen sie sie vielleicht auch lieber an, egal wie schwer die entscheidung vor dem tod war.

ich wünschen allen kraft für den schönsten job der welt und das glück die letzten momente verschönern zu dürfen
genießt die arbeit, so traurig sie manchmal scheint und denkt an die dankbarkeit, wenn ihr jemanden das leben erleichtern konntet.

liebe grüße, schnitte



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doedl
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AW: Etwas voreilig

Beitrag von doedl »

Noch voreiliger:

in meiner ambulanten Zeit hatte ich eine alte Dame zu betreuen- sie war sehr verwahrlost, obgleich sie mit ihrer Tochter zusammen lebte. Jene war manisch- depressiv.

Nun denn, als die alte Frau im Sterben lag, kam ich eines Morgens und mich traf fast der Schlag- auf dem Küchentisch (der übrigens vom Krankenbett aus zu sehen war) stand ein hochglanzpolierter Sarg........!!!

Die gute Tochter (sie war grad in ihrer manischen Phase) konnte es nicht erwarten, hm.

Den Sarg konnte ich leider nicht allein woanders hinstellen- der war viel zu schwer. Also starb die alte Frau mit Blick auf ihre letzte "Behausung"- krass, was?

Gruß Doedl


Wir müssen die Änderung sein, die wir in der Welt sehen wollen- Mahatma Gandhi

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Christl
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AW: Etwas voreilig

Beitrag von Christl »

Boah, das ist glaub ich nicht mehr zu toppen!

Christl


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