Ein Koffer unterm Bett

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johannes
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Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von johannes »

Ein Koffer unterm Bett
Ich heiße Gertrud. Heute ist der 11. Mai 1994. Es ist ein grauer Tag. Leichter Nieselregen fällt. Ich mache mich auf den Weg in eine ungewisse Zukunft. Wieder einmal, wie so oft in den vergangenen mehr als 30 Jahren, seit die „Krankheit“ aufgetreten ist, hat sich ein Heim gefunden, das mich aufnehmen will.

Ist es denn eine Krankheit? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur soviel, dass mich niemand haben will. Ich bin allein. Allein mit meinen Gedanken. Allein mit meinen Gefühlen. Da ist niemand, der mich kennt. Da ist niemand, der mich versteht. Ich bin wieder allein mit meiner Angst.

Allein!

Sie sagen, ich sei schizophren. Bin ich das? Was ist das überhaupt? Selbst die Ärzte wissen nicht, was ich wirklich habe. Wie soll ich das dann verstehen? Soviel weis ich aber, dass sie mir die Arme ausreißen wollen und die Beine. Manchmal wollen sie mir auch den Kopf abreißen. Aber das will ich nicht. Ich will, dass sie mich in Ruhe lassen.

Mittlerweile liegt meine Vergangenheit im Dunkeln. Ich habe keine Familie, die ich fragen könnte, wann das mit mir passiert ist. Und vor allem wie das passiert ist. Ja, ich hatte noch einen Bruder, aber auch er war nicht gesund, wie man mir sagte. Ich meine, er ist bereits vor langer Zeit gestorben. Ich bin allein in einer fremden, kalten Welt.

Nachdem die „Krankheit“ diagnostiziert wurde, kam ich in ein Krankenhaus, eine Psychiatrie, wie sie sagten, in Heppenheim. Ich weiß nicht, was das ist. Für mich ist es halt ein Krankenhaus. Dort gab man mir viele Medikamente. Sie waren der Ansicht, dass ich nicht allein leben könnte. Aber dort bleiben sollte ich auch nicht.

Alle meine Habseligkeiten wurden in einen Koffer gepackt. Mein ganzes Leben passte in einen einzigen Koffer! Ein ganzes Leben in einem einzigen Koffer.

So kam ich in ein Heim. Ich hatte Angst. Niemand verstand mich. Immer dachte ich, dass sie mir meine Arme und Beine ausreißen wollten. Ich wollte mein Zimmer nicht verlassen. Dort hatte ich wenigstens etwas Schutz und niemand tat mir etwas. Nicht lange, da wussten sie nicht mehr, was sie mit mir anstellen sollten und ich musste zurück ins Krankenhaus. Der Koffer mit all meinen Habseligkeiten war mein Begleiter.

Sie sagten, ich müsse „neu eingestellt“ werden. Ich bekam andere Medikamente. Aber das dauerte lange, bis es so weit war, dass das Krankenhaus mich wieder entlassen konnte. Doch ich konnte nicht zurück in das Heim, in dem ich zuvor war. Mein Platz war bereits von anderen belegt.

So wurde ein anderes Heim gesucht. Als es schließlich gefunden war, wurde wieder mein Koffer gepackt. Einige Kleider, in denen mein Name eingenäht war, etwas zur Körperpflege. Es war wirklich nicht viel. Dort ging es mir aber auch nicht viel besser als zuvor und nicht lange, da war ich erneut im Krankenhaus, begleitet von dem Koffer mit meinen Habseligkeiten.

In den 23 Jahren, die ich jetzt schon allein in diesem Krankenhaus zugebracht habe, ist es mir schon fast wie ein Zuhause geworden. Fast! War ich doch auch dort nur eine von vielen, denen es nicht besser ging wie mir. Ich weiß schon lange nicht mehr, in wie vielen Heimen ich einmal gewesen bin. Es sind zu viele für mein geschundenes Gemüt.

So bin ich also wieder unterwegs. Was wird morgen sein?

Die Straße windet sich den Berg hinauf. Rechts sehe ich noch hinter einer hohen Mauer die Häuser des Krankenhauses hervorragen, in denen ich mich nun schon so lange aufgehalten habe. Das Klinikgelände ist zu Ende. Es folgt ein Friedhof, noch ein paar Häuser und wir fahren durch einige Weinberge hinauf in den Odenwald. Bald haben uns die dichten Wälder eingeschlossen.

Über die Juhöhe geht es hinab nach Mörlenbach im Weschnitztal und von dort durch die Wiesen über die Kreidacher Höhe hinab nach Wald-Michelbach. Mit ihren vielen Windungen nimmt die Straße fast kein Ende. Schließlich erreichen wir den verträumten Ort Heddesbach im Laxbachtal. Wir sind am Ziel.

Ich betrete das Haus Maranatha. All meine Habseligkeiten trage ich in einem Koffer bei mir. Freundlich werde ich begrüßt von dem Herrn, den ich schon im Krankenhaus gesehen habe. Aber das war schon immer so. Stets wurde ich freundlich willkommen geheißen.

Ich wurde in ein Zimmer geführt und setzte mich auf einen Stuhl. Zwei Betten standen da, also war ich nicht allein. Ich saß da und sah zu, wie meine Kleider aus dem Koffer in den Schrank geräumt wurden. Das war also mein neues Zuhause. Für wie lange? Wann sind sie endlich fertig mit dem Einräumen? Ich will meine Ruhe haben. Ich will allein sein. Meinen Gedanken nachhängen.

Wie froh bin ich, dass endlich die Tür geschlossen wird. Doch es währt nicht lange, da steht dieser freundliche Herr wieder da und bittet mich zu Tisch. Ja, essen muss ich, also mache ich mich auf den Weg zu all den anderen fremden Leuten. Ich bekomme nicht viel hinunter. Zu misstrauisch, zu furchtsam bin ich, um mir Zeit zu lassen.

So schnell es geht, ziehe ich mich wieder in „mein“ Zimmer zurück. Hier fühle ich mich sicher. Nun sitze ich tagein, tagaus in einer kleinen Nische hinter meinem Bett. Ich bin froh, dass man mich in Ruhe lässt. Auch wenn ich eingeladen werde, an einer gemeinsamen Sache teil zu nehmen – nein, ich will nicht. Ob es Spaziergänge sind, ob das Gesellschaftsspiele sind, ob das Erzählen oder Vorlesen ist.

Auch nach Monaten kann ich mich noch immer nicht überwinden, aus meinem Eck hervor zu kommen. Zum Essen gehen lass ich mir noch gefallen, aber das war es auch schon. Immer wieder höre ich, dass irgendjemand Musik macht, dass gesungen wird. Vorsichtig mache ich die Tür einen Spalt weit auf. Neugierig bin ich schon, was da los ist. Sobald ich jedoch sehe, dass man mich entdeckt hat, schließe ich die Tür ganz schnell wieder.

Mehr als ein Jahr ist vergangen, und noch hat mich niemand wieder weggebracht. Sollte es diesmal anders sein, als sonst? Ich bleibe besser misstrauisch. Man weiß ja nie, was noch kommt. Mittlerweile sind noch einige andere Leute aus dem Krankenhaus angekommen. Einige davon habe ich dort schon gesehen.

Immer wieder sieht der freundliche Herr, den ich zuerst im Krankenhaus kennen gelernt habe - er hat wohl etwas zu sagen in diesem Haus - nach mir. Eines Tages richtet er mir Grüße aus von den Mitarbeitern im Krankenhaus. Diese haben sich nach mir erkundigt, weil ich nun schon so lange nicht mehr zu ihnen gekommen bin. Sie hätten sich gewundert.

Ich verstehe das auch nicht so richtig, dass er mich nicht schon längst wieder ins Krankenhaus zurück gebracht hat. Das war doch immer so. Ich bin zufrieden, dass man mich in Ruhe lässt. Jetzt bin ich bereits über zwei Jahre dort. Meine innere Unruhe ist immer noch vorhanden. Wie oft kommt es vor, dass ich laut schreie, sie reißen mir die Arme aus, sie reißen mir die Beine aus. Ich verstehe das nicht, dass sich die Pflegerinnen davon nicht beeindrucken lassen. Immer bleiben sie freundlich zu mir.

Draußen wird wieder einmal musiziert und gesungen. Ich fasse mir ein Herz und komme aus meinem Zimmer. Nein, ich gehe nicht zu den anderen. Nur bis an die Tür des Aufenthaltsraumes traue ich mich, schaue kurz um die Ecke, um gleich wieder in mein Zimmer zu gehen.
Aber mir gefällt die Musik.

Eines Tages, ich weiß nicht mehr wann, wage ich es und gehe zu den anderen. Ich höre zu, wie sie singen und musizieren. Das ist schön. Von nun an wird es immer öfter, dass ich mich dazu geselle. Die Pflegerinnen freuen sich offensichtlich, dass ich aus meinem selbst gewählten Gefängnis hervor komme. Sie laden mich ein, doch einmal mit spazieren zu gehen.

Nein, das will ich nicht. „Ich geh nicht nach draußen!“ ist meine Antwort. Es ist schon genug, dass ich zum Essen aus meinem Zimmer komme und beim Musizieren dabei bin. Die Jahre ziehen ins Land und immer noch habe ich mich nicht vor die Tür gewagt. Ich habe Angst, nicht mehr zurück kommen zu dürfen. Wie oft ist das schon passiert.

Nun, immer kann ich wohl nicht in meinem Zimmer hocken. Bei schönem Wetter wird der Nachmittagskaffee im Freien eingedeckt. So muss ich wohl auch mit nach draußen, denn darauf will ich nicht verzichten. Immer häufiger sitze ich nun mit den anderen vor dem Haus. Aber sobald der Kaffee fertig ist, gehe ich schleunigst in mein Zimmer.

Es kommt das Jahr 2000. Für die meisten Menschen ist es wohl etwas Besonderes, weil ein neues Jahrtausend anfängt. Aber mir ist das egal. Und doch, dieses Jahr ist anders. Eine Pflegerin kommt in mein Zimmer und sagt, dass wir in diesem Jahr in Urlaub fahren. Was das wohl sein mag? Urlaub kenne ich nicht. Hatte noch nie etwas damit zu tun. Soviel merke ich aber – ich muss hier weg. Wie? Ich darf nicht mehr hier bleiben? Die Angst steigt wieder in mir auf. Mein Koffer – wo ist er nur?

Tagelang wird mir erklärt, dass ich mit den anderen zusammen bleiben werde. Auch der Heimleiter kommt zu mir und erklärt mir, dass wir alle zusammen etwas Schönes erleben werden. Es soll in die Lüneburger Heide gehen. Ich verstehe nicht, warum ich nicht hier bleiben kann.

Der August kommt und mein Koffer wird gepackt. Im Flur sehe ich viele Koffer stehen. Mein Koffer kommt dazu. Es ist der 23. August 2000. Vor meinem Zimmer ist viel Getriebe. Die Pflegekräfte kommen zu mir und helfen mir beim Anziehen. Vor dem Haus steht ein großer Reisebus. Alle stellen sich noch einmal davor auf für ein letztes Foto, dann steigen wir ein.

Ja, auch ich bin dabei, wo ich doch eine solche Angst habe, nicht wieder zurück zu dürfen. Mein Koffer ist längst mit den anderen Koffern und Kisten im Bus verstaut. Eine lange Reise beginnt. Was wird jetzt auf mich zukommen?

Am späten Mittag treffen wir ein in einem anderen Pflegeheim. Dort haben wir unsere Unterkunft in Schneverdingen. Wir haben ein ganzes Haus für uns allein. Die Sonne scheint. Ich mache mir im Augenblick keine Gedanken. Aber niemals entferne ich mich allzu weit von den anderen.

Einmal fahren wir mit zwei Kutschen in die blühende Heide, ein anderes Mal gehen wir zusammen in ein Kaffee. Etwas ganz Besonderes ist das große Heidefest mit der Krönung der Heidekönigin. Wir haben einen Platz in der ersten Reihe erhalten, so dass uns nichts davon entgeht.

So schön das alles auch gewesen ist. Ich war froh, als ich wieder zu Hause war. Ich musste tatsächlich nicht wieder zurück ins Krankenhaus. Noch oft kam es vor, dass mich die Angst überkam und ich wieder schrie. Wenn ich so zurück blicke auf mein Leben – immer dann, wenn mir unbekannte Menschen ins Haus kamen oder auch in mein Zimmer, dann wurde ich unsicher. Ich bekam wieder die alte Angst, was jetzt wohl auf mich zukommen mag.


Dennoch, ich hatte ein zu Hause gefunden, so schien es mir. Aber die Unsicherheit begleitete mich auch in den folgenden Jahren. Ob ich sie jemals verlieren werde?

Ich weiß nicht mehr, wie oft ich den Heimleiter gefragt habe, ob ich immer da bleiben darf. Wie oft ich gefragt habe, ob ich immer in diesem Zimmer bleiben darf. Und es war mir nicht egal, welche Antwort ich bekam. Nein! Solange die Antwort nicht war: „Aber selbstverständlich!“ war ich nicht zufrieden. „Ja!“ war keine Antwort für mich. Es war wichtig, dass die Antwort lautete: „Aber selbstverständlich!“

Manchmal wurde mir auch gesagt, dass ich so lange bleiben kann, wie mein Name an der Tür steht. Ich musste zu meiner Zimmertür gehen und nachsehen, ob mein Name noch dort war. Wie glücklich war ich, wenn ich ihn vorfand. Schnell lief ich wieder zurück und teilte mit, dass mein Name noch da stand. Könnt ihr verstehen, was das für mich bedeutete? Mein Name an meiner Zimmertür?

Ja, bald nach dem Urlaub in der Lüneburger Heide fand ich auch den Mut, mit den anderen spazieren zu gehen. Am Anfang aber nicht zu oft bitte sehr, es könnte ja sein, dass ich nicht mehr zurück durfte. Auch war es mir wichtig, mich einhängen zu dürfen. Es ist schlimm, wenn solche Ängste einen umtreiben und man nichts dagegen machen kann. Ja, ich musste nie mehr fort.

Einige Male durfte ich auch mit zum Karnevalsumzug nach Hirschhorn. Die Weihnachtsfeiern erfreuten mein Herz. Was mir aber immer sehr viel Mut und Kraft gegeben hat, waren die Gottesdienste. Nein, mich musste niemand einladen, ich ging gern dort hin. Auch wenn ich von den Worten nicht viel verstand. Soviel war mir aber klar, dass da jemand ist, der mich lieb hat.

Ist es das, was ich mein Leben lang gesucht habe? Geliebt zu werden? Angenommen werden? Ich kann die Antwort nicht geben. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich da keine Ängste hatte und auch danach viel ausgeglichener war. Ja, ich lernte sogar das Lachen. Nun bin ich fast siebzehn Jahre hier. Ich fühle mich geborgen. Ich habe ein zu Hause gefunden.

In den letzten Wochen habe ich den Pflegerinnen und auch dem Heimleiter immer wieder gesagt, dass ich keine Schmerzen habe. Aber ich denke, die glauben mir wohl nicht. Sie meinen, dass etwas in meinem Körper vor sich geht. Sie sprachen mit der Ärztin darüber.

Trotz einiger Untersuchungen wurde nichts gefunden, was auf eine Krankheit hindeutete. Anfang der Woche aber habe ich ganz heftig erbrochen. Mir geht es gar nicht gut. Jetzt ist Donnerstag, der 17. März 2011. Gestern Abend fühlte ich mich besonders schwach.
Ich bin eingeschlafen und nicht mehr wach geworden. Mein Weg in diesem Leben ist zu Ende gegangen. Jetzt darf ich mich ausruhen von einem langen, bewegten Leben.

Meinen Koffer brauche ich nicht mehr. Ich danke euch, dass ich euch das noch sagen durfte.

© Johannes Paetzold


Ein Mensch existiert nicht - er lebt!
Keiner ist so blind wie der, der nicht sehen will.
Ich vertrete nicht immer die herrschende Meinung - aber ich habe eine Meinung!
Einer sucht für ein Problem eine Lösung - ein Anderer sucht für eine Lösung ein Problem

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Monchichi
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von Monchichi »

Hilfe,ich heule gleich.Wie schön Du das geschrieben hast und daß diese Dame nach so vielem hin und her ihr zu Hause in Deinem Haus gefunden hat und dort auch sterben durfte-nicht mehr ins KH kam-ich kann sie mir bildlich vorstellen,so rührend diese Geschichte.
Muß gerade immer wieder daran denken und mir das vorstellen,wie sie immer wieder guckte,nach dem Namen an der Zimmertür und sagt,daß er noch da steht und wie sie auf Dein "Aber selbverständlich"wartet.

Das geht echt unter die Haut.Du kannst das so toll rüber bringen Johannes!!!

LG-MOnchi


"Du bist wichtig, weil du du bist und wir werden alles für dich tun, damit du nicht nur in Frieden sterben, sondern leben kannst bis zuletzt"Cicely Saunders

Frasume
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von Frasume »

Hallo Johannes,

mit Tränen in den Augen lese ich deine wundervolle Lebensgeschichte,noch dazu,da ich die Dame kennengelernt habe.

Beim Lesen kamen mir die Erinnerungen,wie aufgeregt diese Dame war,im Zimmer hin und her ging,sich immer wieder auf ihren Stuhl im Eckchen setze, nur weil ich als fremde Person in dem Zimmer war,um die Nachbarin mit zu versorgen.

Es müßte einfach mehr von deinen Häusern geben,damit diese Pflegefabriken irgendwann ausgerottet werden. :confused: :confused:

Ich will nicht sagen,das es keine guten Heime gibt,aber es gibt einfach zu wenig davon.

LG Frasume



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*Angie*
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von *Angie* »

Manche finden ihr Zuhause in sich selbst, manche in einem Gebäude, manche
in ihrem Glauben, manche nie.

... möge jeder in seinem Leben "Zuhause" finden ...
manchmal ist das gar nicht so einfach.

Ja, Johannes - eine Geschichte die das Leben schrieb, schön, dass Du sie
in so schöne Worte gekleidet hast!

Danke dafür!


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Danny1974
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von Danny1974 »

Hallo Johannes,

also mir fehlen noch immer die Worte um das zu schreiben was ich fühle gerade, mit Tränen habe ich die letzten Sätze gelesen, mit Worten kann ich das nicht wiedergeben, ich danke Dir dafür.



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schnitte
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von schnitte »

also die geschichte ist wahr?? also johannes schreibt doch jetzt, wie er denkt, dass die dame denkt, oder??? also kann man von ausgehen, dass die gefühle reininterpretiert sind, oder?? bin leicht verwirrt.

kann gar nicht fassen, dass sich tatsächlich menschen irgendwann einmal so heimisch fühlen. vor allem bei der personalfluktation.
nicht falsch verstehen, ich hatte ebenso eine träne im auge, besonders, weil ich schon oft, das gefühl hatte dieses gefühl bei bewohnern zu empfinden, wenn nähe aufgebaut war und man sich mal in den arm nahm. doch dann fiel mir ein, wie oft ich nach einem halben oder ganzen jahr wieder gegangen bin (stationswechsel oder arbeitsplatzwechsel) und wie oft ich dadurch echte beziehungen wieder zerstört habe. ich verstehe jetzt wenn bewohner geweint haben, sobald sie erfuhren, dass ich gehe.
für mich ist das ein job. für die bewohner ist es teils die einzige beziehung , die sie haben.
oh gott ist das schlimm... mir geht ein licht auf. wir gaukeln gefühle vor und kriegen geld dafür. oh gott, ich erkenne soeben etwas absolut verwerfliches an meinem beruf....
ich habe oft eine falsche position eingenommen. ich hätte fachlich dafür sorgen müssen, dass sich beziehungen zu anderen aufbauen,bewohnern oder nach außen. nicht ich hätte die bezugsperson sein dürfen.
ich erschrecke gerade über mich selbst.
neuer berufsethos. neue sicht vom menschenbild altenpfleger. neue sicht von bewohnern, die man zurücklässt. ich schäme mich, bezugsperson gewesen zu sein und gegangen zu sein und das als beruf zu haben...zu sein.


also beim überfliegen des textes, stelle ich wirres lesen fest. es war eine gedankenführung, daher vielleicht sprunghaft und nicht nachvollziehbar. aber ich lass es mal stehen, vielleicht hilft es auch anderen bei der selbstreflexion.



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*Angie*
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von *Angie* »

Sicherlich wird da etwas reininterpretiert sein - denn Johannes versucht sich ja in die Person hineinzuversetzen und ihre Geschichte nebst aller Ansichten und Gefühle zu schreiben. Aber für mich schmälert das den Sinn nicht, das Hin und Her was in Bewohnern vorgeht - das, was viele Pfleger im Berufsalltagsstress gar nicht mehr wahrnehmen, bzw sich keine Gedanken drum machen (wollen oder können).
Off-Topic:

Es ehrt Dich, Schnitte, dass Du Dich so sehr selbst reflektierst, aber:
[quote]wir gaukeln gefühle vor und kriegen geld dafür[/quote]stimmet DAS so wirklich? Sind nicht die Gefühle meistens echter, als man verkraftet - wenn man nicht die immer wieder besagte "professionelle Distanz" wahrt?
Und: gaukelt man nicht in JEDEM Beruf etwas?
Die Verkäuferin, die freundlich ist, obwohl sie den Kunden zum Kotzen findet?

Aber ich verstehe was Du meinst, ich fühle und denke da wohl ähnlich.
Genau das ist zB auch der Grund, warum ich in unserem Beruf GEGEN Zeitarbeiter und Leiharbeiter bin. Menschen brauchen einen Bezug und Vertrauen zu dem, der ihnen den Hintern sauber macht ... ich möchte nicht irgendwann von irgendwem "versorgt" werden, der zur Vertretung oder im Praktikum mal eben da ist und dann wieder weg. Ich finde wichtig, dass die alten Menschen auch im Heim eine "Konstante" haben - jemanden auf den sie sich freuen und der sich verläßlich um/für sie sorgt.

Aber das alles ist ein anderes Thema und gehört hier nicht her ;o)


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iceage
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von iceage »

Hallo *Angie*
Off-Topic:

irgendwie kann ich nicht umhin,Schnitte hier beizupflichten,wenn es um die Interpretation von Ansichten und Gefühlen geht,besonders dann,wenn dies im Nachhinein geschieht.
Sicher,solche Worte sind anrührend,aber sollten sie,quasi als Trauerrede,überhaupt an uns Pflegende gerichtet werden ?
Ich meine,dass ist unser Beruf,die Tätigkeit,mit der wir unser Geld verdienen und somit sollte doch eine gesunde Distanz gewahrt bleiben.
Nicht,dass mich jetzt jemand falsch versteht,wenn z.B. Kinder in meiner Notaufnahme sterben,bin ich wochenlang "neben mir" und tief traurig,aber im Falle alter Menschen ist der Tod doch nichts "Einzigartiges",dennoch wird hier das Leben vor dem Tod,im letzten Abschnitt,irgendwie "hochstilisiert" und dies passt,für mein Berufsverständnis,eben nicht in die reale Welt aus Nähe und Distanz.

Ich hoffe doch,ich hab mich verständlich ausgedrückt,denn dies stellt meine Meinung und keine Kritik am Ausgangsbeitrag dar !



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*Angie*
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von *Angie* »

Off-Topic:

Hallo Iceage,
vielleicht hast Du mit Deiner Ansicht recht - wobei es eben einen riesengroßen Unterschied gibt zur "Durchgangspflege im Krankenhaus" und der Pflege der Menschen in ihrem quasi "letzten Zuhause". Im Heim leben Menschen manchmal nur Wochen, oftmals aber auch Jahre - wie hier zB in diesem Fall 17 Jahre, was dann wieder eine ganz andere Kiste ist.
Und wenn man Menschen so lange betreut und pflegt wird man oft für sie auch zu einer Art "Ersatz-bezug" wie zB es früher eine Nachbarin war oder wer auch sonst - sie LEBEN ja dort im Heim oft über Jahre.
Und somit ist auch die professionelle Distanz eine andere. Da ist oft niemand mehr, der sie besucht, niemand für ihre Sorgen und Nöte, niemand mehr, der sie mal in den Arm nimmt und für sie als Persönlichkeit Interesse zeigt.


Ich denke nicht dass das Sterben bzw der Tod hier hochstilisiert wird, wir alle müssen ihn doch akzeptieren (was bei Kindern ungleich schwerer ist) - aber nur weil ein Mensch alt an Jahren ist heißt es nicht auch zwangsläufig, dass er jemals glücklich war und "sein Leben gelebt hat", dass er sich nicht nochmal verlieben möchte oder anderes.

Viele aus der Generation (meine Mutter wäre jetzt 87 und entstammt dieser Generation) konnten sich nicht einen ihrer Träume erfüllen und gehen nur sehr schweren Herzens aus dem Leben - wogegen ich mal einen 22jährigen im Hospiz begleitete. Ich war da ziemlich betroffen (wahrscheinlich so, wie es Dir bei den Kindern geht) - er war jünger als mein Sohn. Der junge Mann aber grinste mich an und sagte:"Von mir aus kann ich gehen - ich habe ALLES gemacht, wovon ich als kleiner Junge immer geträumt habe, war am Grand Canyon, bin mit dem Bike durch Canada ... das erleben andere Menschen nie!"

Auch bei alten Menschen sind Gefühle, Träume, Ängste - wie auch bei Menschen, die jung sind. So sehr unterscheiden sich die Menschen da gar nicht.
Oft altert der Körper, nicht aber die Gedanken.

Und egal ob interpretiert oder nicht: ich persönlich finde, dass gerade dieser Beitrag besonders die Schüler hier im Forum sensibilisieren kann viel genauer hinzuschauen. Hinzuschauen, WARUM jemand im seinem Zimmer bleibt, genau hinzuschauen, WARUM jemand immerzu schreit ...
Was kann dahinter stecken, dass die alte Dame XY so wunderliches Verhalten zeigt? Das gehört zu unserer Arbeit in der Altenpflege und ist ein nicht unwesentlicher Teil -> BIOGRAFIEARBEIT.

Genau dafür empfinde ich diesen Beitrag als sehr lehrreich.
:wave


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johannes
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von johannes »

Mit großem Interesse beobachte ich die Entwicklung der Diskussion. Da ich selbst gern hinterfrage, warum nicht auch hier. So füge ich noch einige weitere Gedanken hinzu, die nicht unbedingt von der Hand zu weisen sind:

- Kann es sein, daß hier hinter dem Deckmantel der "Professionalität" die Entwicklung von Gefühlskälte versteckt wird? Ich meine damit den stetig fortschreitenden Verlust von Gefühlen, die tiefer gehen als nur bis zur Oberfläche?

- Kann es sein, daß Menschen auf diese Weise austauschbar gemacht werden? Nicht nur nach dem Motto: Pflegen kann doch jeder!? sondern auch nach dem Motto: Pflege können auch Roboter übernehmen! Sie sehen aus wie Menschen, machen die gleichen Bewegungen wie Menschen, sprechen die gleichen Worte wie Menschen - aber sie empfinden nicht mehr wie Menschen.

Schnitte sprach von einem neuen Berufsethos.

- Ist das, was ich beschrieben habe, wirklich so neu? Oder ist es nur in Vergessenheit geraten? Oder kann es sein, daß es nur bewußt zur Seite gedrängt wurde, weil wir verlernt haben, Gefühle zu zeigen, mit Gefühlen umzugehen?

iceage meint
dass ist unser Beruf,die Tätigkeit,mit der wir unser Geld verdienen
Diese Worte könnten auch aus dem Munde eines Topmanagers kommen - Geld, Geld, Geld. Da haben Gefühle keinen Platz, die sind hinderlich und gehören verbannt.
somit sollte doch eine gesunde Distanz gewahrt bleiben.
Richtig!

- Ist es nicht erstaunlich, daß die Welt immer enger zusammen rückt - und gleichzeitig auf Distanz bleiben, u. U. sogar Distanz vergrößern will?
wird hier das Leben vor dem Tod,im letzten Abschnitt,irgendwie "hochstilisiert" und dies passt,für mein Berufsverständnis,eben nicht in die reale Welt aus Nähe und Distanz.
- Kann es sein, daß dies eine der großen Krankheiten unserer Zeit ist, daß wir Nähe nicht mehr zulassen, sie vielleicht sogar als schmerzhaft empfinden, Angst davor haben und sie gleichzeitig ersehnen?

Ich erlebe gerade eben, das auch junge Menschen tiefgehende Gefühle haben - diese aber nicht zugeben wollen. Für mich steckt darin eine große Tragik.

Nein, ich gebe keine Antworten auf meine Fragen, ich wünsche mir eine rege Diskussion.


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iceage
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von iceage »

Hallo *Angie* und Johannes,
ja es stimmt,ich gehe des Geldes wegen arbeiten,weil ich,wie jeder andere Mensch was essen und trinken,meine Miete,Versicherungen etc.pp bezahlen muss.
Das könnte ich genauso gut mit jedem anderen Beruf erledigen,aber ich habe mir speziell diesen Beruf dafür ausgesucht,weil er etwas bietet,das kein anderer bietet : den täglichen Kontakt mit Menschen,bei dem man hinter die Fassade und auch in die Gefühlswelt anderer Menschen schauen kann,ja sogar muss,um Ihnen helfen zu können !

Das brauchen freundliche Verkäuferinnen oder Bankmitarbeiter eben nicht tun,sie brauchen sich nicht mit den Sorgen,Nöten,Ängsten und Problemen ihrer Kunden befassen,um ihnen etwas zu verkaufen.

Ich stimme Euch beiden zu,dass es in der AP,wo Leute teilweise über Jahre im Heim leben,zu viel tieferen,festeren "Beziehungen" zwischen der PK und dem Bew. kommt,eben die allzu menschliche Seite,die sich,wie auch bei Nachbarn,über die Jahre erst entwickelt.
Dies ist im KH,speziell in einer Notaufnahme,nicht der Fall und doch baue ich (rein subjektiv gesprochen),zu jedem Patienten,der zu uns kommt,eine gewisse "Beziehung" auf.
Zwar nicht so tief und eng,aber eben doch genug,um hinter seine Fassade gucken zu können,denn oftmals sind eben diese Fassaden,wenn sie bröckeln,die wahre Ursache z.B. des HI.

Und genau diese Distanz,die dabei gewahrt bleibt,weil ich nicht sooooo tief vordringe,erhält mich psychisch gesund,weswegen ich auf diese Distanz so grossen Wert lege.



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johannes
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von johannes »

Nun, iceage,

wie ich sehe, gibt es unterschiedliche Beweggründe, arbeiten zu gehen. Du schreibst
ich gehe des Geldes wegen arbeiten,weil ich,wie jeder andere Mensch was essen und trinken,meine Miete,Versicherungen etc.pp bezahlen muss.
Willst Du damit sagen, daß wir, die wie eine andere Motivation haben, diesen Beruf auszuüben, die von Dir genannten Dinge nicht auch zu erledigen haben oder erledigen können? Ich weiß z. B., daß Arbeit ein unabdingbarer Bestandteil des Lebens ist der, unabhängig von der Finanzierung des Lebensunterhaltes, dem Leben seinen Sinn gibt. Nicht arbeiten gehen zu dürfen macht heute sehr viele Menschen krank. Solltest Du das wirklich übersehen haben?

Mit welcher Begründung soll aber
... diese Distanz,die dabei gewahrt bleibt,weil ich nicht sooooo tief vordringe,erhält mich psychisch gesund,weswegen ich auf diese Distanz so grossen Wert lege.
die Ursache sein, daß Du psychisch gesund bleibst? Da gibt es m. E. noch weit gewichtigere Gründe, welche die psychische Gesundheit erhalten, als Distanz. Gerade die emotionale Beziehung zum Mitmenschen - auch Nächstenliebe genannt - gehört zu den essentiellen Bedürfnissen des Menschen. Wo sie fehlt, gerät so einiges durcheinander.

Nun noch eine Frage, was meinst Du mit
die allzu menschliche Seite?


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Analir
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von Analir »

Mir geht soviel durch den Kopf... ich kriegs sicher nicht gut aufgeschrieben... :confused:

johannes, ich finde deinen Erlebnisbericht sowohl sehr ergreifend, wie auch sehr mitfühlend geschrieben! Ich würde nur allzugern ein Haus finden, in dem wie bei dir im Haus gepflegt wird! Hab ich auch ohne diesen Thread bereits öfter gedacht!

Ich selbst muss zugeben - ich gehe arbeiten, weil ich muss! Ich habe drei Kinder und wir benötigen mein Einkommen, leider! :( Ich liebe meinen Beruf, aber ich hätte sehr gern die Freiheit, ihn ohne Einkommensgründe ausüben zu dürfen. Dann wäre ich wohl ehrenamtlich in ähnlichen Bereichen tätig. Aber, ich muss eben Geld verdienen und derzeit allein für die ganze Familie.

Ich tue mich schwer mit Distanz bzw. denke ich oft, ich schließe die Menschen in meiner Arbeit zuschnell und zu tief in mein Herz. Was mir privat so schwer fällt, das macht mich auf Arbeit anfällig. Ich nehme die Sorgen und Nöte der Bewohner sehr oft mit heim, sie belasten mich. Dann wünschte ich schon, ich könnte mehr Abstand halten innerlich. Aber ich bin ich und kann das irgendwie nicht. Wie pflegen, wenn nicht eine ehrliche, menschliche Beziehung besteht? Für mich geht das kaum bis gar nicht.

Rest ist Chaos in meinem Kopf und das krieg ich nicht sortiert... diese Diskussion wühlt mich sehr auf... :(



iceage
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Registriert: Mi 2. Jun 2010, 10:49

AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von iceage »

Hallo Johannes,
mit "allzu menschliche Seite" meine ich nichts anderes,als das Entstehen von "Beziehungen" zwischen Menschen,die sich über Jahre weg kennen.

Es ist doch klar,dass z.B. in Deinem Haus,diese zwischenmenschliche Beziehung viel eher entsteht und erhalten bleibt,als in meiner Notaufnahme.



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Monchichi
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Registriert: Sa 3. Sep 2005, 13:19

AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von Monchichi »

Ich glaube,die Arbeit kann einen erst wirklich zufrieden machen,wenn man sich wirklich auf den Menschen einläßt-nicht jede PK mag und macht das,es gibt genug,die pflegen ohne ehrliche Bindungen einzugehen,die Beziehungen bleiben oberflächlich,sie sehen es rein als Job und machen sich nicht weiter Gedanken um den Bew.,die verlassen das AH und haben schon abgeschaltet,was ja auch o.k. ist.
Und dann gibt es die anderen,die emotionalen,die eine ganz andere Berufsmotivation haben...
Ich finde es nicht schlimm,wenn Grenzen überschritten werden,wenn man Nähe gibt und zuläßt und die Distanz anders ansiedelt wie in anderen Bereichen-zumindest im AH-die Menschen brauchen das.
Für manche sind wir Familienersatz,ich finde es schön,den Menschen ein "Wir gehören zusammen Gefühl zu geben,hier ist ihr zu Hause,wir sind für Sie da,sorgen und kümmern uns,bei uns sind Sie gut aufgehoben".
Wenn mir das gelingt,dann weiß ich,ich habe es gut und richtig gemacht.
Gerade bei denen,die ohne Familie sind oder wo kein guter Kontakt besteht,da schlüpfe ich gerne in die Ersatz-Rolle und versuche Halt und Geborgenheit zu geben und das Gefühl,das der Mensch wichtig ist,nicht irgendjemand.
Wie viele Menschen fallen durchs Netz in der kalten Welt weil alt,krank,behindert,psychisch auffällig,nicht der Norm entsprechend-stigmatisiert und ausgegrenzt von der Gesellschaft -viele Menschen sehen nur sich-sind distanziert,sehen nicht na re. und li.-gefangen im Alltagsstreß-im AH-werden diese Menschen aufgefangen und erleben oft das erste Mal das Gefühl,angenommen zu sein,wenn man Glück hat und an bemühte Menschen gerät,die es ernst und ehrlich mit einem meinen.
Von daher,ich bin der Meinung,laßt es zu,diese Bindungen,die Menschen danken es-lebt einfach das Wort Nächstenliebe.
Manchmal leide ich auch und nehme auch was mit nach Hause,was mich belastet,aber eigentlich ist das selten und ich bin einfach zufrieden und glücklich über meine Tätigkeit und bin froh,daß ich damit auch noch nebenbei meinen Lebensunterhalt verdiene.

LG-MOnchi


"Du bist wichtig, weil du du bist und wir werden alles für dich tun, damit du nicht nur in Frieden sterben, sondern leben kannst bis zuletzt"Cicely Saunders

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johannes
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Beitrag von johannes »

Ich muß noch einen mir wichtigen Gedanken anfügen. Iceage machte folgende bedeutungsschwere Aussage
ja es stimmt,ich gehe des Geldes wegen arbeiten ...
und
Ich meine,dass ist unser Beruf,die Tätigkeit,mit der wir unser Geld verdienen und somit sollte doch eine gesunde Distanz gewahrt bleiben.
der eine andere Aussage gegenüber gestellt wird
mit "allzu menschliche Seite" meine ich nichts anderes,als das Entstehen von "Beziehungen" zwischen Menschen,die sich über Jahre weg kennen.
Die Notwendigkeit, Geld zu verdienen schließt Nähe, das Entstehen von Beziehungen aus. Hier wird eine Grundhaltung offenbar, die besagt, daß der Mensch teilbar sein soll.

Beziehungen, Gefühle gehören in den Privatbereich, Funktionalität und Distanz gehören in das Berufsleben.

Auch wenn dies hier von iceage ausgesprochen wurde, weiß ich, daß sehr viele Menschen ebenso denken. Ich sehe darin unser gesellschaftliches Problem.

Vor meiner Zeit als Altenpfleger arbeitete ich als Werkschutzmitarbeiter in einer großen Firma an der Pforte. Unsere Dienstzeiten waren regelmäßig 12 Stunden, jede Woche. Dort saß ich zu Dienstbeginn und zum Dienstende der Belegschaft mit zwei anderen Mitarbeitern im Pförtnerhaus und beobachteten die MA. Morgens gingen die AN auf der linken Seite ins Werkgelände mit einem Gesicht wie an einem verregneten Novembertag. Rund 800 Menschen. Abends gingen dieselben AN auf der rechten Seite mit dem gleichen Gesicht nach Hause. So etwas kann schon trübsinnig machen.

Eines Tages ging ich morgens aus dem Pförtnerhaus und stellte mich in den Eingang des Werksgeländes. Jedem, der vorbei kam, sagte ich "Guten Morgen!" Die meisten sahen weiter auf den Fußboden vor sich, einige hoben leicht den Kopf. Ansonsten keine Reaktion. Meine Kollegen beobachteten, was ich junger Schnösel da wohl machte. Am Abend stellte ich mich auf die andere Seite und wünschte den nach Hause gehenden "Schönen Feierabend!"

Meine Kollegen meinten jetzt, ich soll doch den Blödsinn lassen, das sei doch lächerlich. Doch am nächsten Tag stand ich wieder da - "Guten Morgen! - "Schönen Feierabend!" Ob das die Putzfrau war oder der oberste Chef, das war mir egal. So ging das einige Wochen. Meine Kollegen witzelten schon eine Weile über mich. Aber ich beobachtete eine Veränderung in der Haltung, dem Gang und den Gesichtern der durch die Pforte gehenden. Das bestärkte mich in meinem Unterfangen.

Immer mehr grüßten zurück, am Morgen, am Abend. Gelegentlich verhielten einige ihren Schritt. Wenn die Mitarbeiter auf das Betriebsgelände zustrebten, hing ihr Blick nicht mehr am Boden, nein, sie schauten gerade aus, drehten den Kopf zu mir. Es tauchte ein Lächeln auf. Meine Kollegen spotteten zwar weiter über mich, aber es wurde immer weniger. Eines Tages standen meine Kollegen, einer nach dem anderen neben mir. Gemeinsam grüßten wir die Vorbeigehenden.

Wenn wir unsere Kontrollen im Betrieb durchführten über Tag, entwickelte sich so manches Gespräch. Mich interessierte vor allem der Forschungsbereich. Ich durfte dem Einen und Anderen bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Das war spannend, faszinierend.

Dann kam die Order, daß alle Taschen und Autos kontrolliert werden sollten, weil zu viel Betriebseigentum andere Besitzer erhielt. Trotz der Kontrollen blieben die AN freundlich. Es hatte sich eine andere Kultur eingestellt. Nach knapp einem Jahr meinten meine Kollegen, daß da ein Mitarbeiter sein, bei dem ich auf Granit beißen würde, der würde NIE freundlich werden, grüßen. Sie hatten sich getäuscht. Es dauerte nur noch ein weiteres Vierteljahr und auch er grüßte freundlich, beim Eintritt und beim Verlassen des Geländes.

Warum erzählte ich diesen Abschnitt meiner Lebensgeschichte?

Zwei Worte nur, die Menschen verändern. Zwei Worte, die Nähe herstellen. Zwei Worte am Morgen, die den Tag hell machen, die Arbeit anders gestalten. Zwei Worte am Abend, die den Weg nach Hause beschwingen. Zwei Worte, die aus Langeweile (im Pförtnerhaus) eine Spannung hervor rufen, die niemand erwartet hatte.

Doch, Gefühle muß man zeigen, damit sie nicht verkümmern. Gefühle muß man zulassen und zeigen, damit der andere die Möglichkeit erhält sich zu öffnen. Gerade in der Welt der Gesundheitsberufe ist das ein Muss. Soll ich sagen, das ist Professionalität?

Iceage meinte zwar
Das brauchen freundliche Verkäuferinnen oder Bankmitarbeiter eben nicht tun,sie brauchen sich nicht mit den Sorgen,Nöten,Ängsten und Problemen ihrer Kunden befassen,um ihnen etwas zu verkaufen.
Ich bin da anderer Ansicht. Unsere Welt würde anders aussehen, würden wir uns anders verhalten - mit Menschlichkeit. Jeder Mensch braucht Zuwendung, um zu leben. Und damit meine ich leben - nicht funktionieren!


Ein Mensch existiert nicht - er lebt!
Keiner ist so blind wie der, der nicht sehen will.
Ich vertrete nicht immer die herrschende Meinung - aber ich habe eine Meinung!
Einer sucht für ein Problem eine Lösung - ein Anderer sucht für eine Lösung ein Problem

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johannes
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von johannes »

Hallo Analir,

Du schreibst
Ich selbst muss zugeben - ich gehe arbeiten, weil ich muss! Ich habe drei Kinder und wir benötigen mein Einkommen, leider! ... Aber, ich muss eben Geld verdienen und derzeit allein für die ganze Familie.
Ich gehe einmal davon aus, daß die meisten Menschen arbeiten gehen, weil sie müssen. Ich übrigens auch. Deine Situation ist mir nicht fremd, mußt ich doch auch mit meinem Einkommen als Alleinverdiener eine sechsköpfige Familie versorgen. Das ist sicher nicht das eigentliche Problem.
Ich liebe meinen Beruf, aber ich hätte sehr gern die Freiheit, ihn ohne Einkommensgründe ausüben zu dürfen.
Auch wenn meine Worte jetzt wieder einigen Lesern Bauchschmerzen bereiten, halte ich es für nötig, sie zu sagen. Jeder kennt meine Lebensphilosophie, daß die Beziehung zu Gott von unschätzbarem Wert ist. Sie zieht sich - bei aller Fehlerhaftigkeit, die ich auch bei mir noch sehe - wie ein roter Faden durch mein Leben.

1. Jesus sagte einmal zu seinen Zuhörern: "Wenn ihr ein Problem habt, bringt es zu mir, ich will es für euch lösen."

Sicher kann man wochenlang darüber diskutieren, ob das stimmt oder nicht. Diese Diskussion würde aber nichts bewirken. Dieses Angebot muß man annehmen und im Gebrauch testen! Erst dann erfährt man, ob er die Wahrheit sagt. Ich habe das getestet und ich kann sagen: "Ja, es stimmt!" Interessant ist doch, daß Gott erst dann anfängt zu handeln, wenn wir mit unserem Latein am Ende sind - wenn wir ihn dann lassen.

Es geht um Vertrauen!

2. "Wer sich auf Menschen verläßt, der ist verflucht!" lesen wir in der Bibel. Ja, Menschen zu finden, auf die man sich verlassen kann, die dann noch die Treue halten, wenn alles aussichtslos erscheint, ist sehr schwer. Hinzu kommt, daß die anderen Menschen dich weder wirklich verstehen noch dass sie es eigentlich wollen. Gott dürfen wir auch unsere Hilflosigkeit in die Hände legen und er mach noch was draus, daß uns hören und sehen vergeht. Das sage ich aus meiner gelebten Erfahrung mit ihm.

3. Bevor ich mein eigenes Haus eröffnet hatte, sagten mir meine Kollegen in einem Pflegeheim: "Du mit Deinem großen Bruder!" Ja, ich habe einen großen Bruder - Jesus Christus. Mit dem kann sich keiner vergleichen. Der hat bisher noch alle Kohlen aus dem Feuer geholt. Dort sagten mir die Heimbewohner: "Herr P., sie machen ihre Arbeit so anders als die anderen!" Nein, ich habe sie genau so ausgeführt wie alle anderen auch - meinte ich jedenfalls.

Ich denke, diese Menschen haben nur gemerkt, daß mich mit meinem großen Bruder eine innige Liebe verbindet. So was kann man wohl nicht geheim halten. Da ist der gleiche Stress eben doch ein anderer. Ich muß nicht alles allein tragen, ich kann teilen. Sagt nicht das bekannte Sprichwort:

"Geteilte Freude ist doppelte Freude, geteiltes Leid ist halbes Leid!"? Und ich füge an "geteilte Last, ist halbe Last!". Wer Gott nicht kennt, kennt auch dieses Geheimrezept nicht. Ich kann Dir nur empfehlen:

Versuchs mit ihm, Du wirst staunen!.
Ich tue mich schwer mit Distanz bzw. denke ich oft, ich schließe die Menschen in meiner Arbeit zu schnell und zu tief in mein Herz. ... Ich nehme die Sorgen und Nöte der Bewohner sehr oft mit heim, sie belasten mich.
4. Du kannst Dich glücklich schätzen, daß Du in der Lage bist, die Menschen in Dein Herz zu schließen. Viele können das gar nicht mehr. Sie wissen überhaupt nicht, was das eigentlich ist. Jetzt kann es nur darum gehen, diese Fähigkeit richtig einzuordnen, damit sie nicht, wie Du schreibst, zur Last wird.

5. Viele Menschen versuchen etwas von sich zu geben, das sie gar nicht besitzen. Kein Wunder, daß sie damit überfordert sind. Die Folge ist nicht selten Burn out. Alle hier im Forum werden Dir bestätigen, daß Du mit Deiner Haltung etwas falsch machst. Daß Du nicht professionell bist. Ich stimme ihnen zu, soweit Du diejenige bleibst, die etwas gibt. Ich erklär es.

Ein Mensch ohne Gott hat einen gewissen Vorrat an Mitgefühl, der bei jedem unterschiedlich ist. Ich vergleiche das mit einer Zisterne. Diese gibt es vornehmlich in wüsten Gegenden, wo kaum Regen fällt. Von diesem Vorrat kann der Mensch schöpfen, bis er verbraucht ist. Danach will er zwar noch, kann aber nicht mehr. Oft bleibt nicht mal so viel übrig, daß er selbst überleben kann, er bekommt Burn out. Dann bleibt nur noch das Warten auf neuen Regen.

Darum raten Dir jene die meinen, Du arbeitest nicht professionell, daß Du eine bestimmte Distanz aufbauen sollst. Aber davon wird Dein Vorrat nicht mehr, sondern geht nur langsamer zur Neige. Das ist vordergründig gesehen vielleicht eine Lösung, aber eben nur vordergründig. Ich betrachte das als unprofessionell.

6. Der viel effektivere Weg ist die Verbindung zu Gott, der über einen Vorrat verfügt, von dem wir nicht mal zu träumen wagen. Du bist dann nur noch Durchgangsstation, eine Quelle. Je mehr Du an Mitgefühl, Mitmenschlichkeit, Hingabe und Liebe abgibst, um so mehr strömt nach, ohne Ende. Es ist genug für Dich da, für Deine Familie und darüber hinaus für die Menschen, die Dich umgeben. Das nenne ich professionell, für immer in jeder Situation genügend Ressource zur Verfügung zu haben.

Damit löst sich auch Dein letztes Problem
sie belasten mich.[/QUOTE
7. Wie bei einer Quelle die Entnahme von Wasser keine Belastung darstellt, können auch die Sorgen und Nöte der Bewohner Dich nicht mehr belasten. Indem Du Dich ihrer annimmst, gibst Du nur weiter, was Du selbst empfängst – Wasser des Lebens – ohne Dich selbst zu vernachlässigen. Du hast genug für Dich, für Deine Familie und für die anderen Menschen, die Dir am Herzen liegen.

Aus meiner Arbeit in der Seelsorge und in der Altenpflege in den letzten 40 Jahren weiß ich, dass dieser Weg ein sicherer, erfolgreicher Weg ist, der auch Dich glücklich machen kann auf der ganzen Linie. Das einzige, was Du hierzu benötigst, ist der Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen.

Viel Erfolg

Johannes


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doedl
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von doedl »

Hallo Alle

habe den Threat leider erst heute entdeckt.

Frau Th. kannte ich gut. Ein zutiefst verängstigter Mensch, dem in der Jugend etwas Schlimmes angetan worden war.

Ich glaube nicht, dass viel interpretiert wurde; sie war tatsächlich so; allerdings hätte sie ihre Seelenpein niemals selbst so schildern können. Die Odyssee ihrer Krankenhaus- und Heimaufenthalte trug nicht gerade zum Urvertrauen bei; aber letztlich kam sie doch "zur Ruhe".

Gruß Doedl


Wir müssen die Änderung sein, die wir in der Welt sehen wollen- Mahatma Gandhi

Analir
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von Analir »

.... ich muss das erst verdauen.... DANKE johannes!



überflüssig
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AW: Ein Koffer unterm Bett

Beitrag von überflüssig »

Hallo,
wer sich für das aufgewühlte Gefühlsleben von an Schitzophrenie erkrankten Menschen interessiert, dem kann ich die Novelle:
I Never Promised You a Rose Garden von Joanne Greenberg
nur wärmstens an´s Herz legen.
VG



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