Schimpfen von Dementen

Bietet Pflegebedürftigen, Angehörigen, Mitarbeitern, ehrenamtlich Engagierten, Berufsbetreuern und allen die Zeuge von Verletzungen der Menschenwürde sind, die Möglichkeit darüber zu berichten sowie Rat und Unterstützung einzuholen. Positive Beispiele und Vorbildhaftes kann hier ebenfalls hervorgehoben werden.
H-Milch
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Beitrag von H-Milch »

Moin IMC

Bitte nur als Frage verstehen, wenn sie auch eigentlich völlig deplatziert ist.

Ich habe gerade gelesen, das 25% der Gruppe ab 65 sein postoperatives Durchgangssyndrom bekommt.
Gründe gibt es unendlich: Fieber,Alkohol,Medikamente,Angst u.s.w.

Warum gibt man dieser Gruppe nicht die Möglichkeit etwas länger zu schlafen, klar Gefahr von Pneumonie, Thrombose,personeller Aufwand.
Aber würde man nicht an Hand deiner Erfahrung auch den folgenden Arbeitsanfall letzendlich reduzieren?
Denn ein verwirrter oder deliranter, bindet doch nachher viel mehr Reserven u. Geld.
Und für die Person ist es doch auch angenehmer, ein Delir nicht zu durchlaufen?
Warum finden solche Gedankenansätze nicht ihren Platz????



IMC
Beiträge: 758
Registriert: Di 8. Nov 2011, 20:33

AW: Schimpfen von Dementen

Beitrag von IMC »

Moin H-Milch,Deine Frage beantwortest Du im Grunde schon selbst. Eben die Gruppe ab 65 hat meist eine solche Vielfalt an Begleiterkrankungen zu bieten,die nur eine geringe Narkosetiefe-und dauer erlauben. Auch kann man z.B. bei nem Pat. mit bekannten Angstzuständen nicht mal eben nen Stimmungsaufheller zur Ausleitung dazu geben,weil diese wieder Auswirkungen aufs vegetative Nervensystem haben und der Pat. trotz Antiemetika hinterher ohne Ende erbricht.
Klar,man kann sie schon länger schlafen lassen,nur ist der grösste Nachteil der gängigen Anästhetika eben ne Atemdepression,so dass man am Ende zwar nen ruhigen Pat. hat,der aber nachbeatmet werden muss und somit wieder Zeit,Resourcen und Geld kostet. Beatmungszeiten werden mit den Kassen gesondert abgerechnet und vorallem Nachbeatmungen müssen akkurat begründet werden.


Burn Out ist was für Anfänger...Ich hab Fuck Off ! :D

H-Milch
Beiträge: 61
Registriert: Di 7. Mai 2013, 13:31

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Beitrag von H-Milch »

Sicherlich entsteht erstmal ein Kostenfaktor, den man doch sicherlich pro Fall/Pat. berechnen könnte.

Berechnungen für die Kosten, die vieleicht durch die 25% im Monat verursacht werden, gibt es sicherlich nicht, sind auch sicherlich nur hypothetisch zu ermitteln.

Es wird doch sicherlich auch keine Erhebungen geben, die etwas über die Vorstellungen der Pat. aussagen???

Ich würde für mich, lieber eine längere Schlafphase wählen, wenn ich dadurch ein D.-Syndrom vermeiden könnte.

Unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung hätten vieleicht auch die Kassen ein Interesse an ein Umdenken.
Aber für mich steht der Pat. vorne an u. die Vermeidung des Syndroms.

Vieleicht sehe ich auch alles mit der naiven Brille



Benutzer 1685 gelöscht

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Beitrag von Benutzer 1685 gelöscht »

Hallo IMC,

ich verstehe deine Einwände. Ich mache dir mal ein Beispiel für Umdenken.
Meine Mutter hatte nach einem schweren Autounfall eine Wunde die mit VAC-Therapie behandelt wurde. Meine Mutter ist 75 Jahre alt und eine der Patienten die ich weiter oben schon beschrieben habe. Sie kann sich an die neue Situation nicht so schnell gewöhnen, ist ängstlich, etc. Alle 3 Tage musste der Verband gewechselt werden. Hierzu wurde ihr jedesmal eine Kurznarkose gegeben. Ich merkte zunehmen, wie desorientiert meine Mutter auf Besuche reagierte. Als ich nach etlichen Tagen endlich mal einen Arzt sprechen konnte, weil das Pflegepersonal mich immer wieder an den Arzt verwiesen hatte (das ist auch OK so), habe ich ihn u.a. gefragt, ob die Kurznarkosen unbedingt notwendig seien oder ob es nicht auf möglich wäre hier eine Leitungsanästhesie zu legen. Ich bekam zur Antwort, dass man (Ärzteteam/Uniklinik) daran noch gar nicht gedacht habe. Meine Mutter war 10 Wochen dort, die Anzahl der Kurznarkosen kannst du dir zusammenrechnen.


Jetzt höre ich schon die Aufschreien, die sagen, aber die richtigen Dementen, das ist was anderes. Ich sage, das was ihr beschreibt ist eine Stress/Notsituation für beide Seiten und wenn man etwas um die Ecke denken würde, könnte man dies entschärfen.

Ich werde demnächst ein KH besichtigen, wo dies umgesetzt wird, ich werde mal berichten.

Sophie



IMC
Beiträge: 758
Registriert: Di 8. Nov 2011, 20:33

AW: Schimpfen von Dementen

Beitrag von IMC »

Hi Sophie,ja bitte,wenn Du die Kollegen besucht hast,schildere doch mal Deinen Eindruck und vorallem,was die anders machen !
Wurden die VAC-Wechsel im OP oder stationär gemacht ? Dabei gibts den entscheidenden Unterschied,dass stationär nur Propofol gegeben wird,im OP allerdings ne "richtige" Narkose mit Ein-und Ausleitung.

Moin H-Milch,im Grunde verhindert das längere Schlafen das Durchgangssyndrom ja nich,denn das findeste ja entweder direkt in der Aufwachphase oder im Anschluss oder eben Stunden später,hängt also nicht von der Schlafdauer ab.

Fakt ist jedoch,dass das Durchgangssydrom jeden treffen kann,dazu muss man nicht dement sein. Nur leider isses bei Dementen fast schon Standard und dass die Leute dement sind erfährt man,wenn überhaupt,erst hinterher !


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Thanos

AW: Schimpfen von Dementen

Beitrag von Thanos »

Off-Topic:

Hallo.

Zum Durchgangssyndrom gibt es Studien und Untersuchungen. Es gibt auch Konzepte um Durchgangssyndrome zu vermeiden, bzw. deren Auswirkung zu reduzieren. Auf Station 24 finden sich einige Artikel dazu.
In einem wird auch auf das Thema Finanzierung eingegangen.

Die Pflege, als Berufsgruppe, kann eine Mengen gegen das Durchgangssyndrom tun. Hier sind jedoch entsprechende Strukturen nötig, welche erst mal die Führungskräfte und Krankenhausträger schaffen müssen.



Tiffy2412
Beiträge: 2
Registriert: Di 4. Jun 2013, 16:04

AW: Schimpfen von Dementen

Beitrag von Tiffy2412 »

Hi,
also ich denke das 'schimpfen' nie eine Lösung ist. Mal abgesehen davon, dass wir mit Menschen arbeiten und man diese nicht 'ausschimpfen' kann und darf, finde ich, dass man damit auch nichts erreicht, außer Ablehnung, Angst, Unsicherheit und sinkende Motivation zur Mitarbeit.
Ich will nicht abstreiten, dass ich in meinem beruflichen Alltag auch mehr als einmal an meine Grenzen gestoßen bin und das Gefühl hatte nicht mehr weiter zu kommen, doch einen erwachsenen Menschen anschreien und meine Machtposition auszunutzen, war nie eine Alternative. Ich will nicht sagen, dass man mit netten Worten und einer freundlichen Art IMMER ans Ziel gelangt (denn dem ist sicher nicht so), aber in den meisten Fällen funktioniert es ganz gut. Manchmal kommt man aus was für Gründen auch immer nicht mit einem Patienten zurecht, dann sollte man sich das eingestehen und einen Kollegen bitten, einzugreifen.
Ich denke, man darf nie vergessen, warum man diesen Beruf einmal gewählt hat (und das es anstrengend und kräfteraubend ist, will ich nicht abstreiten). In meiner bisherigen Laufbahn habe ich schon viel zu oft Kollegen erlebt, die ethisch verwerflich mit Patienten umgehen, dazu gehört das 'schimpfen' und anschreien, genauso wie das Fixieren der Arme, oder medikamentöse Fixation. Da man im Team arbeitet, finde ich es schwer, vor allem älteren Kollegen meine Meinung mitzuteilen und ihnen verständlich zu machen, dass ich diesen Weg für falsch halte, doch manchmal bleibt einem nichts anderes übrig.
Ich denke eine Antwort zu dieser Frage muss jeder für sich selbst finden. Ich persönlich halte es so, dass ich jeden so behandle, wie ich es für mich selbst gerne hätte, wäre ich an der Stelle meines Patienten. Der Patient zeigt mir dann meist sehr schnell, ob er/sie damit einverstanden ist, oder nicht.

LG Tiffy



Thanos

AW: Schimpfen von Dementen

Beitrag von Thanos »

Hallo.

Letzte Woche war eine Patienten auf Station, die frische Wäsche brauchte, also rief sie die Kinder an. Nun hat die Dame vergessen gehabt am Telefon mitzuteilen, dass sie auch Zahncreme brauche. Nun hat sie sich den halben Vormittag über Gedanken gemacht, dass die Kinder ja nun fast für umsonst anreisen würden, all die Mühen und all den Aufwand auf sich nehmen und am Ende fehle dann doch die Zahncreme. Also habe ich mit der guten Frau gesprochen, mehrfach und sie beruhigte sich jedes Mal im Gespräch. Das schlechte Gewissen kam immer wieder nach einiger Zeit.

Nun standen dann die Angehörigen auf dem Flur. Ich hörte die Dame mehrere Entschuldigungen vorbringen und sie weinte fast. Also ging ich auf die Dame zu, setzt ein ernstes Gesicht auf, ging mit der Stimme nach unten und nannte ihre Namen und teilte ihr mit ich würde mich darüber ärgern, wenn sie wegen der Zahncreme einen schönen Nachmittag versäumen würde. Sie schaute mich an, straffte die Schultern, meinte ich hätte recht und kam nach einer Stunde mit der Zahncreme wieder und drei Kugeln Eiscreme im Bauch.

Die Dame ist leicht dement.

Was habe ich gemacht? Ich habe per Definition mit ihr geschimpft. Wie einige hier meinen habe ich etwas moralisch verwerfliches getan. Etwas unanständiges. Wenn ich die Worte einiger hier ernst nehme, habe ich ihr Gewalt zugefügt. Ich hätte sie validieren müssen. Hätte Zeit aufwenden sollen, die ihr mit Ihrer Familie dann nicht zur Verfügung gestanden hätte.

Hätte die Dame auch so reagiert wie sie reagiert hat, wenn sie kein Vertrauen zu mir gehabt hätte? Wenn ich nicht vorher mit ihr gesprochen hätte?

Verdiene ich damit nun den Rauswurf aus der ehrenwerten Gilde der Pflegenden? Oder habe ich einfach nur meine Arbeit getan?



H-Milch
Beiträge: 61
Registriert: Di 7. Mai 2013, 13:31

AW: Schimpfen von Dementen

Beitrag von H-Milch »

Verdiene ich damit nun den Rauswurf aus der ehrenwerten Gilde der Pflegenden? Oder habe ich einfach nur meine Arbeit getan?[/QUOTE]


Nein: der Verdienst darf auf keinenfall der Rauswurf sein u. ja: Du hast deine Arbeit gemacht.

Vieleicht darf man anmerken, dass eine kleine Portion Glück dabei gewesen ist, diese Portion wurde vermutlich auf Grund der beruflichen Erfahrung u. der Lebenerfahrung richtig bemessen.



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