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von A.v.Stösser » Mi 9. Feb 2011, 20:48
Einige von Ihnen erinnern sich bestimmt noch an die Zeit, als Angehörige nur zu den offiziellen Besuchszeiten von 14-16.00 Uhr ihr Kind, Mutter, Vater, Oma, Opa, Bruder,Schwester, Freund oder Freundin im Krankenhaus besuchen durften. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich selbst während meiner Ausbildung - regelmäßig die Durchsage gemacht habe: "Die Besuchszeit ist jetzt beendet, wir bitten alle Besucher sich zu verabschieden." Nur in ganz wenigen Ausnahmefälle, wurde hier eine Ausnahme erlaubt, vor allem bei Sterbenden - wenn ein Einzelzimmer zur Verfügung stand. Ich erinnere mich auch noch an das Geheule der Kinder auf der Kinderstation, wenn die Mütter gehen mussten, weil die Meinung vorherrschte, dass die Anwesenheit der Mutter die Eingewöhnung des Kindes behindere. Dann gab eine Zeit des Umbruchs in der das Besuchsthema diskutiert wurde, wobei vor allem die älteren "Schwestern" ein Chaos befürchteten, wenn den ganzen Tag über irgendweche Angehörigen in den Zimmern sind. Andere stimmten gegen eine Auflockerung, wegen der Mitpatienten in den zumeist drei- und vierbettzimmern, die weniger Besuch hatten.
Nachdem dann die ersten Häuser angefangen hatten, die Besuchzeiten zu lockern, zogen andere nach - bis diese schließlich ganz verschwunden waren.
Damit verschwand jedoch nicht automatisch die Haltung gegenüber den "Besuchern" aus den Köpfen der Pflegenden. Selbst Ärzte taten sich lange sehr schwer damit, die nächsten Angehörigen einzubeziehen, etwa bei Therapieentscheidungen. Was der "Herrgott in Weiß" angeordnet hatte, durfte nicht in Frage gestellt werden. "Was hat der Doktor gesagt, was wird mit mir gemacht?", wurden wir dann oft nach der Visite gefragt. Wer sich in ein Krankenhaus begab, musste seine Selbstbstimmung an der Pforte abliefern, so die Kritiker in den 70iger, 80iger Jahren. Nur ganz wenige Patienten, Angehörige und Pflegekräfte trauten sich einem Arzt zu wiedersprechen - wenn sie dessen Anordnung fragwürdig fanden. Solche "schwierigen" Patienten/Angehörige hatten einen entsprechend schweren Stand. Es war ganz klar, wer im Krankenhaus das Sagen hatte, nämlich der Chefarzt und die jeweilige Stationsschwester.
Ich verkürzte die Historie ein wenig und erinnere an die Anfänge der Altenpflege, die sich ja aus der Krankenpflege entwickelt hat. Wobei die Pflegeausbildung auf das Krankenhaus bezogen war - darum meine Wortschöpfung: "Krankenhauspflegeverständnis". Als die mit diesem Patienten/Angehörigenverständnis geimpften Krankenschwestern/Pfleger in den 80iger-90iger Jahren leitende Positionen in den Altenheimen übernahmen, der Beruf der Altenpflege gibt es noch nicht so lange, führten sie dort ähnliche Verhaltensmuster ein. Nicht nur, dass Anfangs der Bewohner als Patient bezeichnet wurde. Bis heute lassen sich Haltungen gegenüber Patienten/Bewohnern und Angehörigen beobachten, die sich vor diesem Hintergrund pflegerischer Prägung erklären.
Um hier nochmals kurz auf das Beispiel der Tochter zurückzukommen, die enttäuscht vom Pflegepersonal selbst versucht, ihre Mutter vor dem Verhungern zu retten. Ohne im Einzelnen zu wissen, was dort abläuft, kann doch jeder erkennen, dass sich diese Angehörige völlig alleine gelassen und überfordert fühlt mit der Situation. Jetzt kann man vielleicht unterstellen, dass sie so schwierig ist - und sich gar nicht helfen lassen will. Ich tippe eher darauf, dass es niemand je versucht hat, diese Tochter mit ihren Ängsten, Erfahrungen und Vorstellungen ernst zu nehmen und gemeinsam mit ihr nach einer gangbaren Lösung zu suchen. Das passt nämlich nicht ins Rollenverständnis der Pflege, weder in den Krankenhäusern, noch in den Heimen, noch zu Hause. Solange da noch im Hinterkopf das Denken herrscht: Ich habe schon genug mit der Pflege des Patienten/Bewohner zu tun und kann mich nicht auch noch mit den Problemen der Angehörigen befassen, bin ich im Denken auf der Körperpflegeschiene unterwegs und missachte die Beziehungsebene.
Ich stelle mir die Rolle der Pflegeprofis im Verhältnis zu den pflegendenen Laien ganz anders vor, als sie derzeit praktiziert wird. Doch dazu vielleicht später mehr.
Liebe Grüße in die Runde
A.v.Stösser