Redebedarf

Alles zum Beruf Pflege was nicht mit der Pflege direkt zu tun hat.
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Fressfeind
Beiträge: 98
Registriert: Mo 17. Feb 2014, 03:49

Redebedarf

Beitrag von Fressfeind »

Hallo Leute. Weiß nicht ob ich mit diesem Thema in der richtigen Kategorie bin.
Bin auch kein Schüler mehr (exam.Fachkraft). Aber ich muss mal einfach was los werden.
Ich halte mich für relativ abgebrüht, habe im Laufe der Jahre so einige Schicksale erlebt. Ich kann aber immer soweit Distanz halten, dass ich die Arbeit nicht mit nach Hause nehme.
Wir haben heute eine Kurzzeitpflege bekommen, ich habe sie aufgenommen und hatte die Ehre der ersten Gespräche. Sie ist 29 Jahre alt. M.S. Und HOPS.
Pflegestufe drei. Tragisch genug, aber was sie mir noch alles erzählt hat...werde ich nicht erwähnen, aber glaubt mir: sie hat es ganz hart getroffen.
Ich war fix und fertig, nahe dem Tränenausbruch.

Ich bin Altenpfleger! Ich halte mich auch für einen ganz guten Altenpfleger.
Aber ich gebe zu, emotional überfordert mich diese Frau völlig.

Und so seltsam es sich auch anhören mag...
Am meisten hat mich fertig gemacht, dass sie sehr viel gefasster ist. Sie ist total freundlich und wir waren auch auch spontan auf einer Wellenlänge.
Wir sind fast im selben Alter.

Ich weiß nicht genau warum ich hier schreibe, muss es einfach niederschreiben. Habe seit 5 Std. Feierabend und ich denke an nichts anderes als an diese arme Frau...ich glaub ich heul jetzt doch ein wenig.



Thanos

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Beitrag von Thanos »

Hallo Fressfeind.

Es kommt durchaus vor, dass einem mal das Schicksal eines Patienten nahe geht. Weshalb auch nicht? Macht uns nicht gerade das menschlich? Ist nicht gerade dies der Beweis dafür, dass wir noch nicht total abgestumpft sind?

Du schreibst die Patienten sei sehr viel gefasster gewesen als Du. Um mal ehrlich zu sein, ich glaube das ist nur eine Maske nach außen hin, vielleicht will sie es auch selbst glauben.

Du kennst doch sicher Validation nach Naomi Feil? Einer der wichtigsten Punkte ist ja vor dem Patientenkontakt das Zentrieren. Bist Du hektisch kannst Du diese Hektik auf den Patienten übertragen. Bist Du wütend, kannst Du das auf den Patienten übertragen. Du weißt was ich meine?
Ich glaube Du nimmst die Gefühle Deiner Patientin auf. Ich will damit nicht sagen, dass Du dement bist, Du warst halt nur in dem Moment empfänglich dafür. Depressive Patienten schaffen dies auch sehr gut, ihre richtigen Gefühle verstecke sie, können sie aber nicht abschalten, und die Pflegenden nehmen sie auf. Das muss dann nicht immer Trauer sein, vielleicht aber Wut, Verzweiflung, Frustration.

Ich denke was Du erlebt hast ist etwas völlig normales. Du weißt jetzt wie Deine Patientin sich fühlt. Du weißt auch wie sehr sie dies beschäftigt, sonst hätte sie es Dir nicht erzählt. Du weißt jetzt auch was Du machen kannst damit Dich ihre Gefühle nicht erneut derartig übermannen, zentrieren wie bei Validation.



Evilina
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Beitrag von Evilina »

Viele Altenpfleger, so auch ich, haben den Beruf ergriffen , um alte Menschen zu versorgen, zu pflegen und betreuen. Die Betonung liegt auf "alt".

Im Laufe der letzten Jahre kommen immer mehr Krebspatienten im Endstadium zwischen 45 und 60 hinzu, ebenso austherapierte psychiatrisch- veränderte Menschen im Mittelalter oder aber, wie oben geschrieben, recht junge Menschen. Unser Personalschlüssel ist aber nicht wie im Hospiz, in einer Psychiatrie. Auch unsere Beschäftigungsangebote ensprechen nicht immer dem Geschmack von jüngeren Menschen. Und dessen sind wir uns bewusst. Und das kann einem zu schaffen machen.

Nimm deine Gefühle an und schreib dir alles von der Seele



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doedl
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Beitrag von doedl »

Ja hm

noch heute denke ich an ein paar Patienten zurück.

Der erste, der mich total beeindruckte, war ebenfalls jünger als das Gros- Sonderschullehrer, selbst ein mongoloider Sohn, bekam Krebs, dadurch Querschntt.

Dann Annie, sie ist schon 30 Jahre tot, hatte Muskelschwund und ist elendiglich erstickt

Eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern, die an einem Hirntumor starb

Diese Schicksale machten mich fertig! Es stellt sich einem die Sinnfrage, warum grad der, warum nicht jemand, der schon sehr alt ist....der oder die ist genau so alt wie Du, oder jünger....

Das Alter mit 85 oder 90 Jahren ist noch weit weg; doch die Pflegebedürftigkeit in jungen Jahren macht bewusst, es könnte auch mich treffen.

Für mich wäre es der Supergau gewesen, in einer Kinderonkologie zu arbeiten, im Rettungsdienst tote Kinder abtransportieren zu müssen oder bei jungen Menschen ohne Lebensaussicht Dienst zu tun. Das hätte ich nie gepackt!

Von daher tut es gut mal zu heulen; es gibt schon Schicksale auf dieser Welt, die wirklich dramatisch sind. Vorsicht aber: wenn der Umgang mit der Bewohnerin immer so starke Emotionen auslöst, dann ist es besser, jemand anderer geht zu ihr rein. Du musst Dich auch schützen, Fressfeind

Gruß Doedl


Wir müssen die Änderung sein, die wir in der Welt sehen wollen- Mahatma Gandhi

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Fressfeind
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Beitrag von Fressfeind »

Wir haben glücklicherweise ein super Team, dass mich diese Patientin sehr mitnimmt konnte ich offen ansprechen und wir können uns auch bei der Pflege abwechseln, heute Abend z.B. Hab ich eine Kollegin gebeten zu ihr zu gehen. Ich konnte nicht nochmal.

Ich verstehe einfach nicht, wie diese Person es mit Links geschafft hat meine "Schutzschilde" komplett einzureißen und mich so zu treffen.
Der Gedanke "das hätte auch mich treffen können" ist es nicht.
Auf eine unbestimmte Art und Weise ist es die Tatsache, dass wir uns blendend verstehen. Wir schnacken wie alte Freunde, die sich nach einigen Jahren Wiedersehen.
Irgendwie dämmert mir, das wir wirklich Freunde werden können...

Thanos hat natürlich recht, ist schon ganz gut, dass man nicht völlig abgestumpft ist...



Frasume
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Beitrag von Frasume »

Hallöchen,

bei uns im Ort wird im Herbst ein Heim aufgemacht für "junge Pflege" da kann man ab 20 bis 60 aufgenommen werden. :) :)

vielleicht wäre das eine Option,denn für das Alter ist ein Altenheim nicht geschaffen,das fängt schon bei dem Radiosender an.

Lg Frasume


Rechtschreibfehler sind Spezialeffekte meiner Tastatur. :hehe :hehe

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Fressfeind
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Beitrag von Fressfeind »

@Frasume und alle anderen: Sie wird nicht bei uns bleiben! Ist nur Kurzzeitpflege nach einem KH-Aufenthalt. Es wird mit der gesetzlichen Betreuerin eine neue Wohnsituation gesucht. Wird vermutlich auf betreutes Wohnen oder ähnliches hinauslaufen.
Hoffe ich jedenfalls für sie.

Ich bin so verdammt aufgewühlt...es ist wie Doedl und Evilina meinten.
Ich bin ALTENPfleger! Ich wollte nicht im KH arbeiten! Oder sonst wo.

Ich habe bald Nachtwache und da bin ich alleine. Bisher übernimmt weibliches Personal die Körperwäsche. Auch auf ihren Wunsch hin, weil es ihr verständlicher Weise unangenehm ist, von Männern versorgt zu werden.
Und ganz ehrlich, auch ich habe da irgendwie Berührungsangst.
Werde den 7-Nächte Dienst aber nicht tauschen können...
Kann nur hoffen dass sie 7 Nächte ohne Vorkommnisse durchschläft. :p

Immer wieder erstaunlich in was für Situationen man in seinem Leben geraten kann. Vielen Dank bis hierhin für eure Antworten. Ich benutze diese Plattform aber Hauptsächlich um mich auszukotzen. Ja, ich habe ein tolles Team, mit dem ich auch reden kann. Aber So gaaaanz offen tue ich es dann doch nicht. Möchte irgendwie nicht schwach erscheinen.
Dämliches Alphatiergetue :/



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Fressfeind
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Beitrag von Fressfeind »

@Thanos: Über deine Antwort, bezüglich der Validation habe ich lange nachgedacht.
Der Satz" . Du weißt jetzt wie Deine Patientin sich fühlt" hat mich echt getroffen.
Ja, vermutlich hast du da nicht unrecht. Aber wenn es wirklich das ist, gibt es auch ein gutes deutsches Wort dafür: Mitleid.
Habe mal in einem anderen Milieu den Begriff "Lebensmüde" wirklich Begriffen.
Ich glaube, zum ersten Mal empfinde ichwirklich Mitleid.
Ich leide mit ihr. Übel...ganz übel.

Und ich verstehe deine Ansatz natürlich, aber ich bin gerade in solch einem Gefühlschaos, und habe auch kein professionelles Verhalten einer so jungen. Patientin gegenüber, da gibt es gerade nichts zu zentrieren...bin völlig ratlos.



Evilina
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Registriert: Do 26. Nov 2009, 12:55

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Beitrag von Evilina »

Dann lass es mit dem Suchen nach dem professionellen Verhalten, in der kurzen Zeit wirst du es nicht finden. Bei einem längeren Aufenthalt würdest du deine Mitte suchen müssen, aber so...

Ich denke manchmal, wir gehen so "professionell" und distanziert mit Situationen um , die für andere eine Katastrophe bedeuten. Ist dann nicht mal wieder schön, wenn man dann mal als Mensch fühlt? Wenn man für sich selbst feststellt, dass hinter dem Pflegeprofi ein Mensch steckt?

Ich verstehe deine Situation, Fressfeind, (die ich auch nicht so wegstecken könnte) und will das auch nicht runterspielen, aber unter dem Strich freue dich, dass du noch fühlen kannst.



Rasputin
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Registriert: Mi 16. Jun 2004, 18:50

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Beitrag von Rasputin »

Huhu Fressfeind

darf ich fragen wie alt du bist, also ich frage nur so....!


Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können

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Fressfeind
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Beitrag von Fressfeind »

Moi? 32 Jahre alt.



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Fressfeind
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Beitrag von Fressfeind »

@Evilina: So bitter es auch klingt...im Augenblick freue ich mich gar nicht darüber, so verdammt menschlich zu sein. Gehe auch stark aus, dass mich diese Geschichte nachhaltig prägen wird. In welcher Form weiß ich noch nicht.
Bin mir aber sicher, dass ich, wenn das ganze mal auf der Reihe habe, eine super Facharbeit über "Nähe und Distanz" schreiben kann. ;)
Werde das Thema so schnell nicht schließen, da wird noch viel passieren...

Hat jemand gute Webseiten, oder noch besser Lektüre in Buchform, zum Thema M.S. zu empfehlen? Aus gegebenem Anlass möchte ich mein Wissen hier gerne vertiefen.



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