24 Stunden als Pflegebedürftiger allein zuhaus.

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johannes
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24 Stunden als Pflegebedürftiger allein zuhaus.

Beitrag von johannes »

Ja, es ist bereits acht Jahre her, als ich mich ein wenig schriftstellerisch betätigte, doch hat sich die Wirklichkeit in diesen acht Jahren verändert? Ich wünsche uns erneut eine rege Diskussion!

7:30 Uhr
ich höre Lärm auf der Straße, Hupen, quietschende Reifen, ein Martinshorn. Niemand kommt in mein Zimmer, ich liege regungslos auf meinem Bett. Wie sehr wünschte ich mir, dass mal jemand kommt und sich nach mir erkundigt. Auf ein „Guten Morgen“ muß ich schon seit einer Woche verzichten, Andrea, meine Tochter wohnt ja in München. Jetzt muß ich aber aufstehen, ich muß mal zur Toilette. Unter Schmerzen quäle ich mich mühsam aus dem Bett. Wo hab ich nur meine Pantoffel gelassen? Mein Stock ist umgefallen, wie komm ich nur an ihn dran? Wenn doch blos jemand da wäre, der mir einen Toilettenstuhl an s Bettende schiebt, dann müsste ich nicht die 5 m zur Toilette laufen. Die Socken bleiben heute aus, ich komm nicht mehr an meine Füße. Dann muß ich eben barfuß in die Schuhe. Mühsam quäle ich mich nun zur Toilette. Mist. Ich kann s nicht mehr halten. Der Urin läuft mir am Bein herunter. Iiii, ekelig die nasse Unterhose. Saubere hab ich nicht mehr im Schrank, konnte ja lange nicht mehr waschen. Also bleibt die alte, nasse an. Sie trocknet ja wieder. In zwei Tagen kommt ja Andrea, sie hat angerufen. Wie gut, dass das Waschbecken direkt neben der Toilette ist. So kann ich mir wenigstens das Gesicht waschen. Das Handtuch sieht zwar nicht mehr besonders aus, aber bis Andrea kommt, muß es gehen. Mühsam ziehe ich mich am Waschbecken hoch, das stehen fällt mir sehr schwer. Es ist noch etwas Toilettenpapier da und so kann ich mir den gröbsten Schmutz vom Gesäß abwischen. Wenn es veschmiert, macht das nichts, sieht ja eh keiner. Meinen Po waschen fällt aus, ich komm ja nicht richtig dran. Das kann Andrea machen, wenn sie übermorgen kommt.

8:30 Uhr
Die Nachbarin hat mir zwei Brötchen gebracht und im Plastikbeutel an die Tür gehängt, ich kann mich ja nicht mehr richtig bücken. Die hole ich mir jetzt zum Frühstück. Langsam gehe ich in die Küche und setze mich erst mal auf einen Stuhl zum Verschnaufen. Es ist noch etwas Margarine da. Für Butter langt meine kleine Rente ja nicht. Auf dem Tisch liegt noch das Messer vom letzten Frühstück. Ist zwar noch ein Rest Margarine und Marmelade dran, aber Geschirr spülen hab ich gestern nicht mehr geschafft. Ich kämpfe mit dem Brötchen. Das Messer ist stumpf und will einfach nicht ins Brötchen zum zerschneiden. Endlich hab ich eine auseinander gerissene Masse in der Hand, die lecker duftet. Die Brötchen sind tatsächlich frisch. Etwas Margarine draufschmieren und den Rest Marmelade. Furchtbar, wie schlecht man an die Marmelade kommt durch die kleine Öffnung im Glas. Den Schimmel auf der Marmelade sehe ich schon nicht mehr, meine Brille kann ich wieder mal nicht finden. Ich setze Wasser auf den Herd, um mir eine Tasse Kaffee zu kochen. Wie gut, dass es heute so was neumodisches wie löslichen Kaffee gibt. Braucht man nicht mehr aufzubrühen. Einfach nen Löffel Pulver in die Tasse, heißes Wasser drüber und umrühren. Da ist ja noch der Kaffeelöffel von gestern. Sieben Tage dasselbe Frühstückt dazu einen Becher Kaffee.

9:00 Uhr
nun sitze ich in der Küche auf meinem Stuhl. Überall liegen alte Zeitungen, auf dem Tisch steht schmutziges Geschirr. Die Spüle ist randvoll. Ich habe einfach nicht mehr die Kraft, hier aufzuräumen. Ich mache das Radio an. Einen Fernseher kann ich mir nicht leisten.


10:00 Uhr
Inzwischen habe ich die Kaffeetasse zur Hälfte ausgetrunken. Der Rest ist kalt geworden. Durst verspüre ich nicht. Ich sitze am Küchentisch, meinen Kopf auf dem rechten Arm aufgestützt und hänge meinen Gedanken nach. Bis auf das Radio ist es still im Haus. Die Nachbarn sind auf Arbeit. Der Lärm von der Straße dringt zu mir herauf, aber viel bekomm ich nicht mehr mit. Meine Ohren haben nachgelassen.

11:00 Uhr
Was gibt es heute zum Mittagessen? Ich brauch mir keine Sorgen drum machen. Meine Tochter Andrea hat für mich Essen auf Rädern bestellt. Die sind immer pünktlich. Ich weiß schon was es gibt. Das Gleiche wie gestern – jedenfalls vom Geschmack her. Ist jeden Tag gleich außer, es gibt mal was Gebratenes. Das schmeckt dann anders. Ich kann nicht verstehen, warum die immer so viel bringen. Hab doch schon oft gesagt, dass mir das zu viel ist. Hat aber nichts genützt.

12:00 Uhr
endlich kommt Leben ins Haus, das Essen wird gebracht. Es klingelt und ich schleppe mich zur Tür. Ein gestresster Mann gibt mir den Behälter und fragt, ob ich den von gestern mitgeben will. Ich bitte ihn, ihn selbst aus der Küche zu holen, weil mir doch das Gehen so schwer fällt. Schnell ist er wieder weg, ich gehe zurück in die Küche und setzte mich erst mal. Die Suppe kenn ich schon von gestern. Eigentlich ist die immer gleich, nur dass sie manchmal etwas anders aussieht. Da hat sie genau so gerochen und geschmeckt. Sie ist wie immer lauwarm. Als Hauptgericht gibt es Schinkennudeln – die haben gesagt, ich solle die im Backofen noch mal warm machen. Lass ich aber, ist mir zu mühsam. Auf den Nachtisch freu ich mich immer besonders. Mal gibt es einen Becher Joghurt, mal frisches Obst. Wie immer esse ich mein Mittagessen ohne zu trinken. Andrea hat wohl gesagt, ich solle viel trinken. Aber immer nur Wasser? Tee aufschütten hab ich schon lange nicht mehr gemacht. Mal etwas anderes kaufen? Die Getränke sind mittlerweile so teuer geworden, das kann sich ja keiner mehr leisten. Ich selbst komme ja gar nicht mehr aus dem Haus. Und die Nachbarin immer fragen – das mag ich auch nicht. Ich würde so gerne mal wieder einen Saft trinken, doch meine kleine Rente geht für Medikamente und das Essen auf Rädern drauf. Man stelle sich das mal vor, ein Mittagessen kostet mittlerweile schon 7,50 €.

13:00 Uhr
Außer dem Weg zur Tür, um das Essen rein zu holen, hab ich mich noch nicht vom Küchentisch fortbewegt. Zur Toilette musste ich auch noch nicht. Hab zum Glück nicht viel getrunken. Jeder Weg ist doch so mühsam. Da ist es besser, nicht so viel zu trinken. Es ist immer noch still im Haus, bis auf mein Radio. Aber bald wird es lebendig, dann kommen die Kinder aus der Schule uns stürmen mit Gebrüll die Treppen hinauf. Wie gut, dass ich nicht mehr so gut hören kann. Das wäre sonst alles zu viel für mich.

14:30 Uhr
Ich bin eingenickt am Küchentisch. Habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging. Das Aufstehen fällt mir nun noch schwerer als heute Morgen durch das lange Sitzen. Ich gehe dennoch ans Fenster und sehe hinaus. Nichts, was mich interessiert. So setze ich mich wieder an den Tisch und wische ein wenig mit der Hand vor mir hin und her. Ich glaube, ich muß mal zur Toilette. Die Hose soll nicht wieder nass werden wie heute morgen. Hat ja doch ne Weile gedauert, bis sie wieder trocken war. So quäle ich mich eben nach nebenan zur Toilette.


15:00 Uhr
nun sitze ich wieder in der Küche, draußen scheint die Sonne und es ist sehr warm durch das Fenster sehe ich die Häuserfront auf der anderen Straßenseite. Ich würde so gerne mal in den Park um die Ecke gehen, doch wie soll ich da hin kommen? So sitze ich nun weiter an meinem Platz vor dem Küchentisch, an dem ich schon seit heute Morgen sitze. Ich trinke aus einem schmutzigen Glas einen Schluck Wasser. Durst verspüre ich eigentlich immer noch nicht.

16:00 Uhr
ich sitze immer noch an meinem Platz am Küchentisch und das seit heute Morgen, ich bin müde und nicke ein. Ab und zu schrecke ich auf, weil ich auf die Seite gerutscht bin.

17:00 Uhr
Es ist Abendbrotszeit. Großen Hunger verspüre ich nicht. Es ist noch ein halbes Brötchen vom Morgen da. Ich schütte mir noch eine Tasse Kaffee auf, auch wenn ich danach wieder mal nicht richtig schlafen kann. Aber es ist einfach. Ich stochere noch in den Resten des Mittagessens herum. Meine Medikamente habe ich wieder mal nicht eingenommen. Vergessen. Andrea wird bestimmt wieder schimpfen. Ich weiß immer nicht, was ich wann einnehmen soll, obwohl sie mir das so gut aufgeschrieben hat.

18:00 Uhr
obwohl ich den ganzen Tag nicht viel gemacht habe und immer wieder eingenickt bin, fühle ich mich richtig müde. Ich sollte zu Bett gehen. Aber selbst das Aufstehen hierzu fällt mir zu schwer.

19:00 Uhr
jetzt endlich raffe ich mich auf und schleppe mich zu mein Bett. Es ist immer noch so, wie ich es heute morgen verlassen habe. Den Geruch im Schlafzimmer spüre ich nicht. Da fällt mir ein, dass ich besser jetzt noch mal zur Toilette gehe, damit ich in der Nacht nicht aufstehen muß. Endlich ist auch das geschafft. Bin ich froh, wieder zu liegen. Ich kann zwar kaum schlafen, hab ja den ganzen Tag gedämmert. Aber das macht mir auch nichts mehr aus. Ich hatte wieder mal einen anstrengenden Tag.

19:30 Uhr
Die Sonne scheint mit ihren letzen Strahlen über die Dächer der Häuser von gegenüber in mein Schlafzimmer. Die Jalousie ist nur halb unten, sie klemmt irgendwo. Ich muß meine Tochter Andrea mal bitten, da was zu machen, Ich liege noch lange wach.


2:00 Uhr
endlich als ich eingeschlafen bin, werde ich durch laute Sirenen aus dem Schlaf gerissen, unter meinem Fenster gab es einen Unfall und Polizei und Krakenwagen rücken mit Martinshorn an. Ich versuche zu schlafen, aber es will nicht gelingen.


3:00 Uhr
schon wieder werde ich aus dem Schlaf gerissen. Ich weiß nicht, was mich geweckt hat. Aber ich kann nicht mehr einschlafen.

5:30 Uhr
Die Berufstätigen machen sich auf den Weg zur Arbeit. Der Lärm unten auf der Straße nimmt von jetzt an ständig zu.

Und wieder beginnt ein neuer Tag

7:30 Uhr
ich höre Lärm auf der Straße, Hupen, quietschende Reifen, ein Martinshorn. Niemand kommt in mein Zimmer, ich liege regungslos auf meinem Bett. Wie sehr wünschte ich mir, dass mal jemand kommt und sich nach mir erkundigt. Auf ein „Guten Morgen“ muß ich schon seit einer Woche verzichten, Andrea, meine Tochter wohnt ja in München. Jetzt muß ich aber aufstehen, ich muß mal zur Toilette. Unter Schmerzen quäle ich mich mühsam aus dem Bett. Wo hab ich nur meine Pantoffel gelassen? Mein Stock ist umgefallen, …


Ein Mensch existiert nicht - er lebt!
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Ich vertrete nicht immer die herrschende Meinung - aber ich habe eine Meinung!
Einer sucht für ein Problem eine Lösung - ein Anderer sucht für eine Lösung ein Problem

silberfee47
Beiträge: 49
Registriert: Sa 10. Sep 2016, 12:19

AW: 24 Stunden als Pflegebedürftiger allein zuhaus.

Beitrag von silberfee47 »

Ja, es ist bereits acht Jahre her, als ich mich ein wenig schriftstellerisch betätigte, doch hat sich die Wirklichkeit in diesen acht Jahren verändert? Ich wünsche uns erneut eine rege Diskussion!
mein gesicht ist ein einziges Fragezeichen ???

worüber soll hier diskutiert werden???? :confused:

deine Schilderung entspricht vielfach leider den Tatsachen :(

gruss von einer betroffenen - sowohl als auch betroffen, wenn auch nicht in diesem grossen ausmass :eek:


ich lebe mein leben in wachsenen ringen, die sich um die dinge ziehen - den letzten werde ich wohl nicht erringen - aber versuchen will ich ihn. MGorki

Benutzer 10209 gelöscht

AW: 24 Stunden als Pflegebedürftiger allein zuhaus.

Beitrag von Benutzer 10209 gelöscht »

Moin Johannes !

Dein Beitrag gefällt mir ausnehmend gut. Er "trifft den Nagel auf den Daumen".
Ob ein Pflegeforum dafür das geeignete Medium ist ..... ?
Das ist doch eher ein Aufruf an die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft.
http://www.hausundgrund.de ist die Homepage des ehemaligen Siedlerbundes.
Mitgliederzeitschrift: Familienheim&Garten
http://www.wortundbild.de gibt u.a. die Apothekenumschau und den Seniorenratgeber heraus. Bei diesem Verlag ist m.E. Hr. Klindt ein guter Ansprechpartner.

Gröt jo düchtig
Frieda
Zuletzt geändert von Benutzer 10209 gelöscht am Di 18. Okt 2016, 21:44, insgesamt 1-mal geändert.



silberfee47
Beiträge: 49
Registriert: Sa 10. Sep 2016, 12:19

AW: 24 Stunden als Pflegebedürftiger allein zuhaus.

Beitrag von silberfee47 »

@Elfriede - moin moin,
das verstehe ich ja nun gar nicht..... ein aufruf an die Nachbarschaft... gut und schön.... aber dann "hausundgrund" ? das geht denen - mit Verlaub - am popo vorbei. so manche vorstände und Leitungen von heimen -erlenhof in Freiburg z.B.- tun so als ob sie sich angagieren. nur leider ist das geschwätz nur nach aussen. die vertreten eine andere Meinung. nämlich die, dass pflege jeder machen kann, dazu braucht man keine examinierten Kräfte. kann ein lied davon singen.........

sobald Johannes zeit hat, wird er sich hoffentlich melden und sagen was der sinn und zweck ist. vorschläge hätte ich zur genüge :D

gruss euch und gespannt bin


ich lebe mein leben in wachsenen ringen, die sich um die dinge ziehen - den letzten werde ich wohl nicht erringen - aber versuchen will ich ihn. MGorki

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